Thalasso: Mit Meereskraft in den Schlaf

Ein Aufenthalt im Reizklima wirkt sich positiv auf Allergiker und Menschen mit Lungen- und Hauterkrankungen aus. Auch Schlafstörungen und weitere Burnoutsymptome werden gelindert.

von Bettina Hagen
30.01.2017

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© Foto: Blickfang / Fotolia
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Wer Inselnamen wie Norderney, Borkum oder Juist hört, denkt dabei an Strandspaziergänge, Meer und Dünen. Doch in den letzten Jahren hat sich die Niedersächsische Nordsee zum Hotspot für Thalasso-Therapien entwickelt (gr.: thalasso = Meer) und wurde dafür 2014 vom Europäischen Prüfinstitut für Wellness und Spa e.V. zur ersten zertifizierten Thalasso-Region Europas ausgezeichnet. Nicht ohne Grund, denn die Küstenregion hat im Kampf um Gäste einen starken Wettbewerbsvorteil: das Reizklima der Nordsee mit seiner hohen Salzkonzentration.

Und das wurde von Gesundheitszentren, Kliniken und Hotels genutzt, um Therapieangebote zu entwickeln, die von Anwendungen mit frischem Meerwasser, Algen, Schlick und Salz bis hin zu Bewegungs- und Entspannungskursen reichen. Nach Meinung des Prüfinstituts hebt sich die Region damit positiv von den gängigen Standards in den Bereichen Gesundheit und Wellness ab.

Thalasso ist nicht gleich Thalasso

Tatsächlich wurden im Zuge des allgemeinen Wellnessbooms Thalasso-Anwendungen von Spas und Hotels vom Harz bis in den Bayerischen Wald ins Portfolio aufgenommen. Das jedoch ist mit Vorsicht zu genießen, mit einer Original-Thalasso-Therapie hat es nichts zu tun: Bei dieser spielt das Meeresklima die Hauptrolle. So sieht das auch der Verband Deutscher Thalasso-Zentren und verabschiedete bereits 2002 einen Katalog mit Qualitätskriterien. Danach muss ein Original-Thalasso-Zentrum direkt am Meer liegen, mit frischem Meerwasser behandeln, über ein Meerwasser-Schwimmbad verfügen und ein professionelles Team aus Ärzten, Masseuren, Klimatherapeuten und Sportlehrern bieten.

Lange Tradition

Neu ist es nicht, die Heilkraft des Meeres zu nutzen. Schon 3000 vor Christus wurden in China Algen- und Meerwasserkuren angewandt. Rund 1500 Jahre später setzten die Ägypter Badekuren zu medizinischen Zwecken ein. Griechen und Römer linderten in der Antike Beschwerden wie Arthritis, Rheuma, Ekzeme und Psoriasis mit Salz aus dem Toten Meer. 1793 wurde nach englischem Vorbild Heiligendamm als erstes deutsches Seeheilbad gegründet, vier Jahre später folgte die Insel Norderney. Mit Sprüngen ins Meer, Trinkkuren und Abreibungen behandelte man damals Rheuma und Ausschläge.

Norderney hat sich inzwischen zum Kompetenzzentrum für Thalasso entwickelt. Seit 1957 werden dort die Einflüsse von Wetter und Klima auf Gesunde und Kranke systematisch erforscht. Was zunächst als Projekt in einem Krankenhaus begann, wurde im Laufe der Jahre zum unabhängigen Institut für Rehaforschung ausgebaut. 25 Jahre lang beschäftigte sich Friedhart Raschke mit den vielfältigen Wirkungen des Meeresklimas auf die Gesundheit. „Die Nordsee sorgt dafür, dass unser Immunsystem gesund wird“, sagt der inzwischen pensionierte Raschke. „Die positiven Effekte der Thalasso-Therapie werden über das Meerbad, das schadstoffarme Aerosol, fehlende Pollen, den stetigen Wind, die erhöhte UV-Strahlung sowie die Bewegungstherapie an Strand und Wasser erzielt“.

Das entspricht der etwas trockener formulierten Definition des Verbands Deutscher Thalasso-Zentren: „Die Thalasso-Therapie wird heute als gleichzeitige Anwendung aller regulierenden Elemente des Meeresmilieus unter ärztlicher Kontrolle mit dem Ziel der Vorbeugung und Therapie definiert. Klima, Algen, Schlamm und Sand vervollständigen so die günstige Wirkung der lebendigen und wichtigen Ressource, dem Meerwasser“.

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Reizklima – tief durchatmen

Die Klima- und Witterungseinflüsse am Meer werden in der Regel als Reizklima bezeichnet. Doch was hat es damit auf sich? In erster Linie beschreibt der Begriff ein Klima, das Stoffwechsel und Immunsystem anregt. In Deutschland findet man es an der Nord- und Ostseeküste, aber auch im Hochgebirge. Die Nordsee jedoch profitiert aufgrund ihrer geografischen Lage und der Wärmeeinflüsse des Golfstroms von einem besonders starken Reizklima.

Allein der Salzgehalt des Wassers ist drei Mal höher als in der benachbarten Ostsee. Dazu kommt der vermehrte Wind mit seinen häufig wechselnden Richtungen, der die allergenfreie Luft über dem Wasser und in der Brandungszone stark mit kleinsten Salzwasserpartikeln anreichert, auch maritimes Aerosol genannt. Eingeatmet erreichen die feinen Tröpfchen die Atemwege bis in die unteren Bronchialverzweigungen und entfalten dort ihre entzündungshemmenden Eigenschaften.

Auf der Haut sorgen sie für einen leichten „Salzfilm“ mit antibakterieller und abschuppender Wirkung. Wenn die Nase läuft und sich die Haut leicht rötet, hat der kühlende Wind Durchblutung und Stoffwechsel kräftig auf Touren gebracht. Das A und O jeder Thalasso-Therapie ist daher der Aufenthalt am Wasser – je näher an der Brandungszone, desto besser. Denn dort ist die Aerosolkonzentration beim Brechen der Wellen besonders hoch.

Inzwischen gibt es in den staatlich anerkannten Küsten- und Heilbädern für Gäste kilometerlange, beschilderte Thalasso-Kurwege sowie Reit- und Wanderpfade, zusätzlich wurden Klimapavillons, Ruhebänke, Schutzhütten, Strandkörbe und Aussichtplattformen in Meeresnähe aufgestellt.

Gut schlafen

Der Einfluss des Nordseeklimas auf Patienten mit Burnout wurde am Institut für Rehaforschung auf Norderney untersucht. Im Rahmen einer Studie unterzogen sich 300 Burnout-patienten einer dreiwöchigen Bewegungstherapie im Meeresklima. Schwerpunkt war die Kombination von Aktivitäten wie Wattwanderungen oder Strandgymnastik mit Entspannungstechniken, Spiritualität oder Meditation. Am Ende der Reha, sowie vier Wochen und ein halbes Jahr später wurden die Probanden zu ihren Schlafstörungen, ihrer Depressivität und Erschöpfung befragt. Mit erstaunlichem Ergebnis: Die Ein- und Durchschlafstörungen der Teilnehmer waren merklich zurückgegangen, im Zeitraum von sechs Monaten wandelten sich mittelschwere Schlafprobleme in leichte, und leichte Schlafstörungen verschwanden ganz. Auch die Erschöpfungssymptome besserten sich deutlich.

Friedhart Raschke führt diese Erfolge sowohl auf die stationäre Rehabilitation als auch auf das Nordseeklima zurück. Die regelmäßigen körperlichen Tagesaktivitäten im Reizklima hätten das verlorene Gleichgewicht von Anforderung und Entspannung wieder ins Lot gebracht. „Der Anteil, den das Nordseeklima an der Verbesserung von Schlafstörungen hat, muss insgesamt als hoch angesehen werden“, resümiert Raschke. Doch auch ganz ohne Burnout ist ein Aufenthalt an Nord- und Ostsee eine Wohltat für Körper und Geist.

Weitere Infos: www.die-nordsee.de

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