Serie Heilpflanzen: Rainfarn

Rainfarn gehört nicht zu den Farnen. Er wird auch Revierblume genannt, weil er am Feldrain wächst und das Kulturland von der umgebenden Wildnis abgrenzt. In vielerlei Hinsicht ist er ein Grenzgänger.

von Petra Schicketanz
30.08.2017

09pta_151566431_high
© Foto: 49pauly / Getty Images / iStock
Anzeige

Unter anderem heißt er Blitzkraut, Donnerkraut, Goldknopf, Wurmkraut, Revierblume, Wurmsamen, Totenkraut und Unsterblichkeitskraut. Meist kennt man die Staude als Rainfarn (Tanacetum vulgare bzw. Chrysanthemum vulgare). Allerdings gehört die Staude mit den leuchtend gelben Blütenköpfchen zu den Korbblütlern und nicht zu den Farngewächsen, die bekanntlich keine Blüten ausbilden. Die verhältnismäßig großen, stark unterteilten Blätter erinnern lediglich an die Wedel des Wurmfarns. Und auch die längst nicht mehr aktuelle Verwendung bei Wurmbefall geht in diese Richtung. In der Phytotherapie hat Rainfarn jedoch längst ausgedient. Bestenfalls werden die getrockneten Blüten wegen ihres kampferartigen Geruchs in Kräuterkissen verarbeitet, um Motten abzuwehren.

Aktueller Podcast

Als Bauerngartenpflanze war Rainfarn bis ins 19. Jahrhundert sehr beliebt. Zwischen Juli und September steht er in voller Blüte und ist mit einer Wuchshöhe von bis zu 1,20 Metern spätestens dann nicht mehr zu übersehen. Seine Blütenkörbchen stehen in Form von Doldenrispen und tragen jeweils bis zu 100 leuchtend gelber Röhrenblüten. Die sind mit nur einem Millimeter Länge sehr kurz, weshalb ihr Nektar barrierefrei allen Insekten zugänglich ist.

Lustig und lausabwehrend

Im 16. Jahrhundert beschrieb der deutsche Arzt und Botaniker Tabernaemontanus die Wirkung: „Der Rauch von Reynfarn macht Kinder lustig und fröhlich, behütet sie vor Krankheit, vertreibt darneben alle Fantaseyen und Gespenst, derowegen man die Kinder und die Kinderbetterinnen darmit zu beräuchern pflegt.“ Demnach scheint Rainfarnrauch ideal zu sein, um sich für Halloween zu wappnen. Fest steht zumindest, dass der Geruch des Krauts Mücken, Motten, Flöhe und Läuse vertreibt. Warum also nicht auch Zombies, Mumien, Vampire und Geister?

Hüben und drüben

Karl der Große kannte die Pflanze als „Reinfano“, was so viel wie Grenzfahne bedeutet und das typische Erscheinungsbild des Rainfarns gut charakterisiert. Er steht nämlich am liebsten am Ackerrand, sozusagen als weithin leuchtende Markierung. Diese Grenze zwischen Kulturlandschaft und urigem Umland deuteten indoeuropäische Völker als Übergang in die Anderswelt, die das Reich der Lebenden von dem der Toten, Dämonen und Geister trennte.

Sowohl Frühling als auch Herbst sind typische Jahreszeiten, an denen laut Überlieferung das Hinübergehen in die Anderswelt und retour besonders leicht erscheint. Entsprechende Traditionen gibt es beispielsweise an Allerheiligen (Halloween) und zu Ostern.

Nach einem altenglischen Brauch wird Frühjahrs- oder Ostergebäck mit einem Zusatz von Rainfarn gebacken. Was früher sicher dazu bestimmt war, die Lebenskraft zu erhöhen, sollte jedoch mit Vorsicht genossen werden, denn Rainfarn ist in größeren Mengen giftig. Wegen der abortiven Wirkung sollten Schwangere streng auf den Konsum verzichten. Die Pflanze wurde früher sogar als riskantes Abtreibungsmittel gebraucht.

Dämonen in Wurmgestalt

Die keltischen Völker bekämpften mit Zubereitungen aus Rainfarnblüten nicht nur Spul- und Bandwürmer, sondern sämtliche Krankheitsdämonen in Wurmgestalt. Doch gerade der wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoff Thujon ist auch für die Giftwirkung verantwortlich. Anzeichen einer Vergiftung sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. In höheren Dosierungen können epilep- sieartige Krämpfe, Koma oder sogar der Tod eintreten.

Typischerweise kommt es dabei zum sogenannten Opisthotonus, einer krampfartigen Überstreckung der Rückenmuskulatur, wodurch der Betroffene wie ein Flitzebogen vom Kopf bis zu den Fersen nach hinten aufspannt. Bekannt ist dieses Phänomen auch von Strychninvergiftungen, Wundstarrkrampf (Tetanus) oder Hirnhautentzündung (Meningitis). Die Verwendung der Blütenköpfchen des Rainfarns als Wurmmittel ist aus diesem Grund schon lange obsolet.

Unsterblich

In der Antike glaubte man, die Verwesung mittels Rainfarnrauch aufhalten zu können. Später hieß es deshalb im Christentum, die Blüten seien ein Versprechen des ewigen Lebens. Sogar noch im Mittelalter streute man die Blüten in die Leichentücher.

Auch die Griechen kennen diesbezüglich eine schöne Legende. Derzufolge verliebte sich Göttervater Zeus in jungen Jahren in den trojanischen Prinzen Ganymed. Dieser war kein Geringerer als der schönste Junge der Welt. Auf seinem Adler, dem Träger der Blitze, entführte Zeus den begehrenswerten Knaben auf den Olymp, damit er den Göttern als Mundschenk diene. Um seine Schönheit der Vergänglichkeit zu entreißen, gab er dem Prinzen einen Absud von Rainfarn zu trinken, auf dass er unsterblich wurde. Noch heute ist der Wasserträger am Himmel als Sternbild Wassermann zu sehen. Wandert die Sonne in dieses Sternbild, dann beginnt die Regenzeit, und Ganymed hat Zeus überreden können, endlich auch den Durst der Menschen zu löschen.

Faktum
  1. Die Blüten des Rainfarns (Tanaceti flos) dienten früher als Wurmmittel.
  2. Für die Wirkung verantwortlich ist das thujonreiche ätherische Rainfarnöl (Oleum tanaceti), dessen Zusammensetzung erheblich schwanken kann.
  3. Zeichen einer Thujonvergiftung sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall.
  4. Höhere Dosierungen führen zu epileptoformen Krämpfen und Koma mit einem Krampf, der zur rückwärtigen Überstreckung der Rückenmuskulatur führt.
Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *
Inhaltsverzeichnis