Serie Rezeptur: Harnstoff

Wer mit Harnstoff arbeitet, muss einiges berücksichtigen. Unser Beitrag beschäftigt sich mit dem vielseitigen Wirkstoff. Neben Tipps für die Verarbeitung stellen wir beispielhaft die Herstellung einer Creme vor.

von Stefanie Fastnacht
30.04.2024

Sarah Siegler wiegt Harnstoff ab
© Foto: Sarah Siegler
Anzeige
  • Harnstoff ist ein Wirkstoff, der als Keratolytikum und als feuchtigkeitsspendendes Hautpflegemittel eingesetzt wird.
  • In wasserhaltigen Formulierungen liegt Harnstoff gelöst vor.
  • In wasserfreien Formulierungen liegt er suspendiert vor.
  • Damit Harnstoffsuspensionen nicht auf der Haut kratzen, sollten die Partikel eine Teilchengröße von durchschnittlich 50 Mikrometern aufweisen.
  • In der Regel müssen Harnstoffsuspensionen mit dem Dreiwalzenstuhl nachbearbeitet werden, um die Harnstoffteilchen ausreichend zu zerkleinern.

Harnstoff (Urea pura) ist ein feinkristallines, weißes Pulver, das sich sehr leicht in Wasser löst. Der Wirkstoff kommt als natürlicher Feuchthaltefaktor in der Haut vor. Er bindet große Wassermengen und durchfeuchtet die Epidermis. Neben der Pflege trockener, juckender Haut wird Harnstoff auch als hornlösender (keratolytischer) Wirkstoff eingesetzt, etwa zur Nagelablösung bei Nagelpilz.

Aktueller Podcast

Übliche Konzentrationen des nicht ionischen Wirkstoffs sind bei Erwachsenen drei bis 40 Prozent, bei Kindern drei bis zehn Prozent. Da Harnstoff auf der Haut brennt und sie reizen kann, eignet er sich nicht für Kinder unter zwei Jahren. Das Gleiche gilt bei verletzter Haut. Eine empfehlenswerte Alternative ist Glycerin. Der rezeptierbare pH-Bereich des photoinstabilen und hydrolyseempfindlichen Harnstoffs liegt zwischen 1und 12, das Zersetzungsminimum bei pH 6,2.

Die Rezeptur

Urea pura 5 %
Sanacutan Basiscreme ad 50,0 g

Dos.: 1 – 2 x tgl. auf betroffene Körperstellen auftragen

Problemanalyse

Bei der Einarbeitung von Harnstoff in verschiedene Grundlagen ist prinzipiell zu berücksichtigen, ob diese wasserhaltig oder wasserfrei sind. In wasserhaltigen Formulierungen löst sich der Harnstoff, sofern die Grundlage einen ausreichenden Wassergehalt vorweist. In wasserfreien liegt er ungelöst, also suspendiert vor. Daran orientiert sich die weitere Verarbeitung.

Wasserhaltige Grundlagen

pH-Anstieg-- Harnstoff neigt in wasserhaltigen Zubereitungen pH-Wert-abhängig zur Zersetzung. Unter anderem entsteht dabei Ammoniak. Dies passiert sowohl im sauren als auch im basischen Milieu. Wärme beschleunigt die Zersetzungsreak- tion. Bei der Zersetzung steigt der pH-Wert der Zubereitung durch den basisch reagierenden Ammoniak an.

Auskristallisation-- Während der Anwendung kann Lösungsmittel aus der Grundlage verdunsten. In Folge kristallisiert gelöster Harnstoff aus, die Kristalle kratzen beim Auftragen auf die Haut.

Wasserfreie Grundlagen

Harnstoff liegt in hydrophoben Salbengrundlagen wie Vaseline oder Wollwachs nicht gelöst, sondern nur fein verteilt (suspendiert) vor. Da der Wirkstoff kristallin ist und obendrein zur Verklumpung neigt, reichen meistens weder die manuelle Verarbeitung in der Fantaschale noch die Verarbeitung mittels vollautomatischen Rührsystems aus, um die Wirkstoffteilchen so weit zu zerkleinern, dass sie nicht mehr kratzen.

Lösungsansätze

Damit es in der Apotheke bei der Herstellung von halbfesten Harnstoffzubereitungen nicht zu Schwierigkeiten kommt, haben wir für Sie im Folgenden einige Verarbeitungshinweise zusammengestellt.

Gelöster Harnstoff

pH-Anstieg-- Muss der Harnstoff vor der Einarbeitung in Wasser gelöst werden, sollte der Ansatz auf keinen Fall stark erwärmt, sondern maximal auf Raumtemperatur gebracht werden. Zu starkes Erwärmen macht sich durch Ammoniakgeruch bemerkbar. Das Lösen von Harnstoff in Wasser ist ein endothermer Vorgang. Dabei kühlt sich die wässrige Phase ab.

Wichtig ist auch, dass der pH-Wert der Grundlage nah am Zersetzungsminimum von Harnstoff liegt, also bei pH 6,2. Je nach Anwendungsdauer und Grundlage (O/W-Emulsion) sollte gepuffert werden. Im NRF wird in den Rezepturen 11.71., 11.72. und 11.74. Lactatpuffer verwendet. Wird gepuffert, ist bei der Endkontrolle der pH-Wert der fertigen Zubereitung zu überprüfen. Ist Puffern nicht möglich, sollte die Haltbarkeitsdauer verkürzt werden. Auch ein Austausch der Grundlage nach Rücksprache mit dem Arzt bietet sich an.

Auskristallisation-- Harnstoff sollte sich in halbfesten Zubereitungen dauerhaft in Lösung befinden und nicht auskristallisieren. Dazu muss ausreichend Lösungsmittel über die ganze Anwendungsdauer hinweg in der Grundlage vorhanden sein. Mit der 1,5-fachen Menge Wasser bezogen auf die Wirkstoffmenge wird das gewährleistet. Bei O/W-Grundlagen kann Harnstoff dann direkt auf die Grundlage aufgestreut und so lange gerührt werden, bis kein Knirschen mehr zu hören ist. Auch mit dem vollautomatischen Rührsystem kann so verfahren werden (Herstellerangaben beachten). Unter Umständen muss mit einer niedrigeren Umdrehungszahl (800 UpM) und einer verlängerten Mischdauer gearbeitet werden. Reicht die in der Grundlage enthaltene Wassermenge nicht aus, kann Harnstoff separat in etwas Wasser gelöst und anschließend eingearbeitet werden. Je nach zugesetzter Wassermenge ist dann eine Nachkonservierung nötig.

Wichtig-- Um der Verdunstung von Lösungsmittel vorzubeugen, sollte das Verpackungsmittel möglichst dicht sein. Tuben eignen sich am besten. Bei anderen Packmitteln müssen die Haltbarkeit eventuell angepasst oder die Ansatzmenge verringert werden.

Ungelöster Harnstoff

Harnstoff liegt in hydrophoben Grundlagen suspendiert, also fein verteilt, vor. Damit er nicht auf der Haut kratzt, sollten die Harnstoffpartikel eine Teilchengröße von durchschnittlich 50 Mikrometer aufweisen. Dazu muss der Wirkstoff vor der eigentlichen Verarbeitung verrieben werden. Alternativ können Wirkstoffkonzentrate eingesetzt werden. Diese gibt es nicht fertig zu beziehen, sie müssen selbst hergestellt werden, zum Beispiel die Harnstoff-Stammverreibung 50 Prozent (mit Vaseline, NRF S. 8.). Insbesondere beim vorherigen Verreiben ist bei Harnstoffsuspensionen eine Nachbearbeitung mit dem Dreiwalzenstuhl erforderlich, um Harnstoff ausreichend zu zerkleinern.

Je nachdem, wie geübt das pharmazeutische Personal im Umgang mit dem Gerät ist, sollte, um Verluste zu vermeiden, ein zehnprozentiger Zuschlag eingeplant werden. Harnstoffformulierungen werden in drei Durchgängen durch den Dreiwalzenstuhl bearbeitet und anschließend in der Fantaschale noch mal von Hand homogenisiert. Bei jedem Vorgang werden die Abstände der Walzen minimiert. Sind bei der Endkontrolle noch kratzende Harnstoffpartikel vorhanden, muss die Formulierung nochmals durch den Dreiwalzenstuhl gegeben werden.

Video: Harnstoff in der Rezeptur

Praxisbeispiel

Die Stammkundin Frau Nebel* kommt in die Apotheke und drückt PTA Sarah Siegler ein Rezept von ihrer Dermatologin in die Hand. Darauf ist Harnstoff (5 %) in Sanacutan Basiscreme verordnet. Die Kundin leidet unter einer Verhornungsstörung der Haut (Ichthyose). Mit der Rezeptur will ihre Ärztin sehr stark verhornte Hautstellen von Hautschuppen befreien und wieder geschmeidig glatt machen. Sarah Siegler sagt die Herstellung bis zum nächsten Abend zu und macht sich sofort an die Plausibilitätsprüfung.

Herstellungsanweisung

In Anlehnung an das Rezepturblatt des Grundlagenherstellers legt sie fest, die Rezeptur mit dem Topitec Touch im Sandwichverfahren herzustellen. Als Einstellung verwendet sie „Creme Weich, 50 Gramm“. Da es sich bei der Grundlage um ein Fertigarzneimittel handelt, kann die Eingangsprüfung entfallen.

Es setzt sich zusammen aus Weißer Vaseline, dickflüssigem Paraffin, Cetylstearylalkohol, Macrogolcetylstearylether, Natriumdihydrogenphosphat-Dihydrat, Phosphorsäure, Glycerol und gereinigtem Wasser und hat einen pH-Wert von 4,5 bis 6. Der Wassergehalt der O/W-Creme liegt bei 52,1 Prozent. Darin lässt sich die erforderliche Menge Harnstoff direkt lösen. Ein Vorablösen in Wasser ist nicht notwendig. Die Haltbarkeit der fertigen Rezeptur legt die PTA, wie auf der Website des Grundlagenherstellers empfohlen, auf drei Monate bei Raumtemperatur fest.

Durch die Hydrolyse von Harnstoff wird der pH-Wert der fertigen Zubereitung in diesen drei Monaten von 5,5 auf 6,5 steigen, was aber vertretbar ist. Es kann also darauf verzichtet werden, einen Lactatpuffer zu verwenden. Hinsichtlich Konservierung: Die Grundlage ist mit Kaliumsorbat und Sorbinsäure vorkonserviert, was auf dem Etikett ausgewiesen wird.

Fazit

Sarah Siegler stuft die Rezeptur als plausibel ein und lässt die Herstellungsanweisung von einem der diensthabenden Apotheker unterzeichnen. Danach geht sie ins Labor und beginnt mit der Herstellung.

Herstellung

Im Labor legt die PTA ihre Schutzausrüstung an, reinigt die Arbeitsfläche und desinfiziert mit Isopropanol 70% (V/V). Alle anderen Arbeitsutensilien werden ebenfalls desinfiziert und bereitgelegt.

Serie Rezeptur

03/2024 Metronidazol
04/2024 Erythromycin
05/2024 Harnstoff
06/2024 Salicylsäure
07/2024 Ammoniumbituminosulfonat
08/2024 Gentamicinsulfat
09/2024 Polidocanol
10/2024 Vitamin-A-Säure
11/2024 Nystatin
12/2024 Chlorhexidindigluconat

Sandwichverfahren

Als erstes tariert Sarah Siegler eine 50-Gramm-Topitec-Dosierkruke mit Kurbelwelle und Mischscheibe auf der Waage aus und wiegt die Hälfte der Grundlage ab. Als nächstes wiegt sie den Harnstoff unter Berücksichtigung des Einwagekorrekturfaktors auf der Analysenwaage ab und streut ihn flächig auf die in der Dosierkruke vorgelegte Grundlage. Darüber gibt sie die restliche Grundlage, streicht sie glatt und rührt die Creme mit dem Programm „Creme weich, 50 Gramm“.

Endkontrolle / Abfüllung

Zur Endkontrolle streicht sie eine kleine Menge der fertigen Creme auf einer Glasplatte aus und freut sich, dass sie keine Harnstoffkristalle oder Agglomerate mehr entdeckt. Zum Abschluss misst sie den pH-Wert der Rezeptur. Mit einem Wert von pH 5,5 liegt er im richtigen pH-Bereich. Auf dem Etikett weist sie die Grundlagenbestandteile inklusive der Konservierungsstoffe separat aus.

Abgabe

Bei der Abholung am nächsten Tag erklärt Sarah Siegler Frau Nebel die Handhabung der Drehdosierkruke. Um die Wirkung der Harnstoffcreme zu unterstützen, empfiehlt sie der Kundin noch ein rückfettendes Bad mit Meersalz. Diese freut sich über die Empfehlung und nimmt das Bad gleich mit.

*Name von der Redaktion geändert. Die im Beitrag genannten Produkte werden,sofern es Alternativen gibt, beispielhaft genannt.

Dr. Stefan Bär unterstützt die Redaktion bei der Serie fachlich. Die Rezeptur ist sein Spezialgebiet. Er setzt sich dafür unter anderem als Mitglied der Fachgruppe „Magistrale Rezeptur“ der GD Gesellschaft für Dermopharmazie und als Betreuer zweier Rezepturhilfehotlines ein.

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *