
30.01.2021
von Beate Ebbers
© Getty Images/iStockphoto (Symbolbild mit Fotomodellen)
Gelangen Speichel, Nahrung und Flüssigkeit nicht mehr richtig in den Magen, sprechen Experten von einer Schluckstörung (Dysphagie). Das Gemisch kann dann wieder in den Mund-Nasen-Rachenraum zurückfließen (Regurgitation). Besonders gefährlich wird es, wenn es in die Luftröhre und die Lunge gerät (Aspiration). Dann besteht die Gefahr, dass es zu Erstickungen, Lungenschädigungen und -entzündungen (Aspirationspneumonien) kommt.
In aller Regel tritt die Dysphagie als Folge onkologischer, neurologischer oder geriatrischer Erkrankungen auf. Nach Angaben der Leitlinie Klinische Ernährung in der Neurologie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin leiden zum Beispiel 30 bis 50 Prozent der Schlaganfallpatienten in der Akutphase an einer Schluckstörung, in der chronischen Phase (> 6 Mo.) sind es noch zehn Prozent.
Aus Angst, sich zu verschlucken oder zu ersticken, verweigern Betroffene oftmals die Nahrung. Ungewollte Gewichtsabnahme und Mangelernährung sind daher häufige Begleiter einer Dysphagie. Da gerade Getränke durch die hohe Fließgeschwindigkeit schnell zum Verschlucken führen können, lehnen Betroffene auch das Trinken ab. Dadurch steigt das Risiko einer Dehydratation. Frühzeitiges Erkennen und Behandeln von Schluckstörungen sind deshalb von besonderer Bedeutung.
Spezielle diagnostische Verfahren liefern genaue Hinweise auf die Ursachen und das Ausmaß von Schluckstörungen, sodass ein individueller Therapieplan von Ärzten in Zusammenarbeit mit Logopäden und Ernährungsfachkräften erstellt werden kann. Ziele sind die Sicherstellung der Ernährung zur Vermeidung von Mangelernährung und Dehydratation und der Schutz der unteren Atemwege zur Verhinderung von Aspirationspneumonien. In Schluckzentren von Fachkliniken und Rehabilitationseinrichtungen erlernen Betroffene und Angehörige den Umgang mit der Erkrankung. Dazu gehören spezielle Schlucktechniken, Haltungs- und Sitzposi- tionen, die richtige Auswahl der Speisen, aber auch Erste-Hilfe-Maßnahmen beim Verschlucken.
Sind Dysphagiepatienten in der Lage, ihren Speichel zu schlucken, und ist der Hustenreflex vorhanden, können sie in aufrechter, leicht vorgebeugter Körperhaltung normal essen und trinken. Günstig sind mehrere kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt sowie das Essen mit einem kleinen Portionslöffel.
Dickflüssige Nahrung ist leichter zu schlucken als dünnflüssige. Daher sollte die Fließeigenschaft (Konsistenz) der Speisen und Getränke an das Ausmaß der Störung angepasst sein. Orientierung bietet der Konsistenzstufenplan nach dem Leitfaden Ernährungstherapie in Klinik und Praxis der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und anderer Fachgesellschaften. Danach sieht die Konsistenzstufe 1 für schwerste Dysphagieformen gebundene, also angedickte, passierte/flüssige Kost vor. In der Konsistenzstufe 2 wird gebundene pürierte, in der dritten Stufe teilpürierte Kost angeboten. Adaptierte/weiche Kost, die nicht mehr püriert werden muss, gibt es in der vierten Konsistenzstufe. Welche Stufe für den einzelnen Patienten in Frage kommt, legen der Arzt beziehungsweise das Ernährungsteam fest.
Patienten, die Speisen der Konsistenzstufe 1 oder 2 benötigen, ernähren sich in der Regel nicht bedarfsdeckend. Sie essen nicht nur einseitig, sondern nehmen infolge größerer Anstrengung und größeren Kraftaufwands beim Schlucken zu geringe Mengen und damit zu wenig Energie auf. Deshalb empfehlen Leitlinie und Leitfaden eine beratende Begleitung durch geschulte Ernährungsfachkräfte und in Fällen mit dauerhaft geringer Nahrungszufuhr oder schon be- stehender Mangelernährung eine Anreicherung mit Energie, Protein, Vitaminen und Mineralstoffen und/oder eine Unterstützung mit konsistenzadaptierten oralen bilanzierten Diäten. Auch ist die Flüssigkeitszufuhr von Patienten, die angedickte Flüssigkeiten erhalten, meist nicht bedarfsdeckend und muss überwacht werden. Gegebenenfalls ist eine ergänzende parenterale Flüssigkeitszufuhr erforderlich.
Bei schweren Schluckstörungen, bei denen keine ausreichende orale Nahrungsaufnahme möglich ist und die voraussichtlich länger als eine Woche anhalten, empfiehlt die Leitlinie eine Sondenernährung.
Zur Unterstützung der Nährstoff- und Flüssigkeitsversorgung werden Trinknahrungen, Nahrungen zum Löffeln, Instant-Dickungsmittel und angedickte Getränke angeboten (s. Tab., S. 42). Alle Nahrungen zum Trinken oder Löffeln sind hinsichtlich der Konsistenz sowie des Energie- und Eiweißgehaltes an das Ausmaß der Schluckstörung angepasst. Sie sind verordnungsfähig.
Nicht verordnungsfähig sind hingegen spezielle Instant-Dickungsmittel, die dem Andicken von flüssigen Speisen und Getränken bis zur gewünschten Konsistenzstufe dienen. Das gilt auch für die alternativ verwendbaren bereits eingedickten Erfrischungsgetränke.
Die angebotenen Dysphagieprodukte sind konzipiert für Patienten, die die Konsistenzstufen 1, 2 oder 3 benötigen. Zur Beschreibung der Konsistenz werden die Begriffe Sirup, Honig und Pudding verwendet. Produkte für die Stufe 1 sind von sirupartiger Konsistenz, also noch recht flüssig, aber zäh-tropfend. Honigartig kennzeichnet Dysphagieprodukte, die sehr langsam vom Löffel tropfen. Sie sind für die Stufe 2 geeignet. Produkte mit puddingartiger Konsistenz, die mehr fest als zäh sind und sich mit einem Löffel abstechen lassen, sind für Patienten geeignet, die eine Konsistenz der Stufe 3 benötigen. Daneben sind andere Begriffe, zum Beispiel Creme, gebräuchlich.
IDDSI-- Auch wenn die oben genannten Begrifflichkeiten allgemein gebräuchlich sind, ist nicht definiert, welche Konsistenz damit konkret gemeint ist. Daher wurde 2017 von der Internationalen Initiative zur Standardisierung der Dysphagie-Diät (IDDSI) ein international gültiger Stufenplan veröffentlicht. Er definiert die verschiedenen Stufen (Level) von konsistenzadaptierter Kost und angedickten Flüssigkeiten auf Basis einfacher Messmethoden. Nahezu alle Hersteller definieren heute ihre Produkte parallel nach dem IDDSI-Stufenplan und informieren über die Kennzeichnung in ihren Produktinformationen.
Ausführliche Informationen zu IDDSI, den detaillierten Beschreibungen der einzelnen Level und den Testmethoden finden sich unter www.iddsi.org.
Neben Stärke enthalten nahezu alle Produkte weitere Verdickungsmittel wie Gummi arabicum, Xanthan oder Carrageen. Diese haben den Vorteil, dass die gewünschte Konsistenz auch bei Speichelkontakt im Mund stabil bleibt. Denn bei ausschließlicher Verwendung von Stärke würde die Speichelamylase, ein Enzym, das Stärke in Oligosaccharid- beziehungsweise Disaccharid-Einheiten aufspaltet, die Nahrung im Mund wieder verflüssigen.
Aus dem OTC-Sortiment* |
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Produkt |
Eigenschaften** |
empf. Tagesmenge (zur ergänzenden Ernährung)** |
verordnungs- fähig** |
Fresubin® dysphago plus |
- vollbilanzierte Nahrung zum Trinken - honigartige Konsistenz - IDDSI-Level 3 - hochkalorisch (1,5 kcal/ml) - proteinreich (10 g/100 ml) - ballaststoffhaltig - glutenfrei - laktosearm |
2–3 Flaschen |
ja |
Resource® Dessert Fruit |
- vollbilanzierte Nahrung zum Löffeln - hochkalorisch: (1,66 kcal/g) - ballaststoffhaltig - glutenfrei - laktosearm (< 0,5 g /100 g) |
1–3 Becher |
ja |
Nutilis aqua |
- angedicktes Erfrischungsgetränk zum Löffeln - teilbilanziert - honigartige Konsistenz - IDDSI-Level 3 - amylaseresistent - glutenfrei - laktosefrei |
individuell im Rahmen der Flüssigkeitsbilanzierung |
nein |
Thick & Easy® Clear |
- Instant-Andickungspulver - amylaseresistent - klares Aussehen - geschmacksneutral - ballaststoffhaltig - glutenfrei - laktosefrei |
erforderliche Andickungsstufe muss durch Fachkraft festgelegt werden |
nein |
*beispielhafte Nennungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit (Stand Lauer-Taxe: 3.12.20); **lt. Hersteller (Homepage) |
Dysphagieprodukte sind Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten). Alle Trinknahrungen und Nahrungen zum Löffeln sind vollbilanziert und enthalten alle lebenswichtigen Nährstoffe in bedarfsgerechter Menge. Sie können zur alleinigen Ernährung eingesetzt werden. Die hohe Nährstoffdichte ist gerade für Dysphagiepatienten von Vorteil, die eine Konsistenz der Stufe 1 oder 2 benötigen und denen es daher schwerfällt, ausreichend zu essen. Schon kleine Mengen der Nahrungen können zur Bedarfsdeckung beitragen. Die Dickungsmittel und fertig angedickten Getränke sind teilbilanziert und dienen der Ergänzung.
Mit Energiegehalten von 1,3 bis 2,4 Kilokalorien pro Milliliter beziehungsweise Gramm enthalten die Nahrungen reichlich Energie. Davon profitieren besonders Dysphagiepatienten mit neurologischen Erkrankungen, bei denen der Energiebedarf krankheitsbedingt steigt (z. B. Morbus Parkinson, Chorea Huntington). Auch onkologische Patienten mit Schluckstörungen benötigen eine besonders energiereiche Kost, wenn es zu einer tumorbedingten Auszehrung (Kachexie) kommt.
Alle Dysphagienahrungen sind mit bis zu zehn Gramm Eiweiß pro 100 Milliliter beziehungsweise Gramm eiweißreich. Damit tragen sie dazu bei, den erhöhten Eiweißbedarf von 1,2 bis zwei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag bei Patienten mit Mangelernährung zu decken. Eine proteinreiche Nahrung reduziert zudem das Risiko fürs Wundliegen (Dekubitus) und verbessert die Wundheilung. Davon profitieren Dysphagiepatienten, die aufgrund ihrer Grunderkrankung bettlägerig sind.