
30.05.2022
von Petra Schicketanz
© Khaligo / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell) |
Apiaceen, wie Doldengewächse in der Fachsprache heißen, beanspruchen einen erheblichen Teil des Küchenbeets. Von Anis bis Wiesenkerbel beherbergt die Familie zahlreiche Gewürze, Gemüse und Heilpflanzen wie Fenchel, Giersch, Kümmel, Petersilie, Möhre, Sellerie, Pastinake oder eben Liebstöckel. Vor allem bei Wildsammlung sollte man sich gut auskennen. Denn häufig ist der Gebrauch der Pflanze nur in überschaubarer Menge gesund, oder giftige Verwandte mogeln sich gerne mal dazwischen.
Liebstöckelwurzel (Levistici radix) enthält ein ätherisches Öl. Es ist antimikrobiell wirksam und fördert die Harnausscheidung. Dieser aquaretische Effekt ist maßgeblich für den Einsatz bei entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege und bei der Durchspülungstherapie bei Nierengrieß, wofür die Droge eine Positivmonografie der Kommission E besitzt. Umgekehrt ist die Reizung der Nieren und damit der Einsatz von Liebstöckelwurzel zu vermeiden bei akuten Erkrankungen des Nierenparenchyms und eingeschränkter Nierentätigkeit sowie bei Ödemen, die auf eine Einschränkung der Herz- und Nierenfunktion zurückgehen.
Die Droge besitzt eine verdauungsfördernde und karminative Wirkung. Reflektorisch regt ihr aromatischer, leicht bitterer Geschmack die Motilität des Darms an und steigert die Produktion und Abgabe von Magensaft und Galle und nicht zuletzt den Speichelfluss. Es ist also nicht ungewöhnlich, beim Riechen von Liebstöckelaroma zu sabbern. Deshalb wird das ätherische Öl von Levisticum officinale auch in Parfüms verwendet. Hersteller werben mit Beschreibungen wie „herb, von außergewöhnlicher Erotik“ – was nicht zuletzt genau dasselbe meint.
Während den Legenden nach das Aroma von Liebstöckel die Säfte so sehr in Wallung bringt, dass man nach dem Genuss gar nicht anders kann, als seinen kulinarischen Mitstreiter am Ohrläppchen zu knabbern, soll gekochte Liebstöckelwurzel gegen Schlangenbisse helfen. Das zumindest empfahlen die im 16. Jahrhundert publizierten Kräuterbücher von Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs.
Für Hildegard von Bingen war Liebstöckel eine wichtige Frauenpflanze. Sie nutzte sie zur Behandlung aller Beschwerden, die mit der Menstruation zusammenhängen.
Sein Geschmack ist süßlich, würzig und dann schwach bitter im Abgang. Wie so viele Gewürze stammt der Liebstöckel aus dem Orient, dem Reich der Märchen und Aphrodisiaka, die eine Brücke bauen zwischen Völlerei und Fleischeslust. Wobei die aromatischen Liebesmittel im Essen zumindest das entsprechende Ambiente oder die passenden Erzählungen erfordern, um den Sprung von „wohlschmeckend“ nach „sinnlich“ zu schaffen. Ohne das passende Drumherum tut sich voraussichtlich gar nichts. Gerade der Liebstöckel kann ein Lied davon singen, führt er uns doch in der Sprache der Blumen vor Augen, dass die Stunden der Minne nur allzu schnell vorüberziehen.
Sein botanischer Name Levisticum wurde im Althochdeutschen mehrfach verstümmelt. Die daraus entwickelten Namen gaben überdeutliche Hinweise auf die Wirkung: Luststecken oder eben Liebesstöckel lassen einfach keinen Platz für Zweifel. Man steckte sich das Kraut an, um auf das andere Geschlecht unwiderstehlich zu wirken. Da es früher offensichtlich existenziell notwendig war, die Töchter zeitig zu verheiraten, wurden sie schon als Mädchen in Liebstöckelwasser gebadet, damit sie auf keinen Fall den rechten Moment verpassten, um dem Richtigen zu gefallen. Wie gesagt, die Stunden der Minne ...
War auf dem steinigen Weg zur Liebsten der Weg versperrt, halfen Zubereitungen aus getrocknetem Liebstöckelpulver, das mit grüner Eidechse gemischt und verbrannt wurde, um die unliebsamen Schlösser zu öffnen. Wie alle stark riechenden Kräuter sollte Liebstöckel natürlich auch in der Lage sein, Hexen und böse Geister zu vertreiben, weshalb an Fronleichnam und Mariä Himmelfahrt Kräuterbüschel in der Kirche geweiht und anschließend dem Vieh ins Futter gemischt wurden.
Wussten Sie, dass ...
Eine weitere Legende ist übrigens auch, dass Maggi, die berühmte deutsche Fertigwürze, Liebstöckel enthält, der vielerorts schließlich Maggikraut genannt wird. Aber wie so oft ist auch das ein Fehlalarm. Der Name stammt definitiv nicht von der Zutatenliste der Würzsauce, die der Unternehmer Julius Maggi (!) 1886 erstmals in die bekannten Braunglasflaschen mit dem roten Tropfverschluss abfüllte. Sein Ziel war es, die dünnen Mahlzeiten der verarmten Arbeiterklasse aufzupeppen und den Geschmack von Fleisch zumindest erahnen zu lassen. Dazu denaturierte er Soja- und Weizenproteine mit Salzsäure und Natronlauge und fügte noch ein paar Aromastoffe und Geschmacksverstärker hinzu. Alles kam rein, aber nur kein Liebstöckel. Erstaunlicherweise entstand dabei tatsächlich ein Aroma, das dem Duft des wackeren Doldenblütlers so sehr ähnelt, dass er fortan nach der braunen Würze benannt wird, von der ein echter saarländischer Haushalt im Schnitt einen Liter pro Jahr konsumiert.