Ich muss nicht – ich will

Wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten, hat unterschiedliche Ursachen. Eine davon ist in der Tat ihre Kindheit: Wer damals intensiv mit verbalen Antreibern (Streng Dich immer an, mach es allen recht, sei in jeder Lage stark) konfrontiert wurde, muss oftmals im Erwachsenenalter feststellen, dass diese im Alltag nicht erfüllbar sind. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit dem entspannten Umgang mit sich selbst und anderen.

von Nina Konopinski-Klein
12.11.2018

Frau streckt Arme in die Luft.
© Foto: Andres Rodriguez / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodell)
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Fallbeschreibung

Apotheker Schneider plant das heiße Herbst-Geschäft – obwohl es sich um eine bekanntermaßen eher kalte Zeit handelt. Dabei fällt ihm auf, dass, egal wie viele Arbeitsstunden er mit der Planung auch verbringt, bei ihm stets das Gefühl entsteht, nicht fertig zu werden. Alles, was er macht, versucht er so perfekt wie möglich zu machen bzw. er will sich immer wieder selbst übertreffen. Das dauert Stunden und hinterlässt bei ihm eine gewisse Unzufriedenheit mit sich selbst.

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Seine Frau, ebenfalls in der Apotheke tätig, kümmert sich um das Team. Sie macht das sehr gut, und trotzdem weist er sie immer wieder darauf hin, dass sie nicht dauernd versuchen soll, allen alles recht zu machen. Das ist nämlich ihre Vorgehensweise. Sie meistert oft einen Spagat zwischen der Anpassung an die Vorgaben des Apothekers und der Wohlfühlatmosphäre, mit der sie die Mitarbeiter motivieren will.

Alles Typsache

Die dienstälteste PTA Frau Müller zeichnet (für die anderen) eine schier ungeheure Geschwindigkeit in der Arbeit aus. Bis ihre Kollegen die Aufgabe erfasst haben, sich darauf einstellen und versuchen anzufangen, ist sie meist bereits fertig und jammert, alles alleine machen zu müssen, da die anderen so langsam sind. Die Beschreibungen der Personen kann man um mehrere Typen erweitern. Herr Schneider versucht, sein Team optimal aufeinander auszurichten und die Verhaltensweisen der Teamkollegen gegenseitig möglichst anzupassen.

Ursachenforschung

Warum verhalten sich Menschen so unterschiedlich in bestimmten Situationen? Die häufigste Antwort auf diese Frage sucht die Gründe in der Kindheit. Natürlich kann und soll eine schwere und belastende bzw. eine schöne und verwöhnende Kindheit nicht alles erklären. Erwachsene Menschen sind, wenn sie sich bewusst mit ihrem Verhalten und schematischen Reaktionen auseinandersetzen und sich selbst erforschen, durchaus in der Lage, das eigene Benehmen, ihre Einstellungen, ihre Entscheidungen und ihr Handeln zu steuern.

Elterliche Prinzipien werden übernommen

Trotzdem sind bereits in den ersten Lebensjahren elterliche Aussagen und Vorbildfunktionen entscheidend, wie Menschen durch bestimmte Ansichten angetrieben werden. Für Kinder sind elterliche Prinzipien, Regeln, Gebote und Verbote absolut und werden teilweise unbewusst übernommen: „Lass dir nur Zeit“, „Nur wer schwer arbeitet, hat Erfolg“, „Jeder muss seine Probleme selbst lösen“ sind Beispiele für solche Antreiber.

Antreiber

Die Botschaften kann man anhand von Fragen an sich selbst erkennen, z.B.:

  • Welche Erwartungen wurden von den Eltern geäußert?
    „Werde nie wie deine Tante Sophie!“.
  • Welche Lebensregeln gehörten zur Familieneinstellung?
    „Ohne Fleiß kein Preis!“.
  • Welche direkten Verhaltensanweisungen haben Sie sich zu Herzen genommen?
    „Sei nicht so großzügig. Man muss immer sparen können.“
  • Welche Bezeichnungen haben Sie für sich akzeptiert?
    „Du bist und bleibst unordentlich!“.
  • Welchen Prophezeiungen haben Sie geglaubt?
    „Du wirst immer dick bleiben. Es liegt in der Familie.“
  • Welche Wünsche der Eltern haben Sie erfüllt?
    „Ich wollte immer studieren, Du hast die Möglichkeit dazu.“

Den Begriff Antreiber haben in den 1970er-Jahren die beiden Psychologen Taibi Kahler und Hedges Capers definiert und beschrieben. Danach wurden fünf grundlegende elterliche Forderungen definiert (siehe Tabelle).

Die fünf grundlegenden elterlichen Forderungen

Antreiber

Typische Verhaltensweisen

Stärken

Gefahren

Verhaltenstipp / Erlauber

Sei immer perfekt.

Mach keine Fehler.

Erkennbar auch durch Wortwahl: natürlich, genau, klar, gewiss, unter Umständen 

neigt dazu, mehr zu sagen, als nötig wäre, um verstanden zu werden 

rechtfertigt die Meinung

gewissenhaft

sehr zuverlässig

meist Experte auf seinem Gebiet

niedrige Fehlerquote

besondere Gründlichkeit in allem, was getan wird

nie fertig mit der Aufgabe

Angst, Fehler zu machen

selten mit eigener Leistung und der Leistung der Mitmenschen zufrieden

überfordert sich selbst und andere

durch Pedanterie oft unbeliebt 

Fehlerlosigkeit als Idealzustand

„Ich kann Fehler machen
und lerne daraus.“

abwägen, wann Perfektion angebracht und wann nicht

Verhalten gegenüber anderen/Mitarbeiter:
„Ich kenne und respektiere
Sie, so wie Sie sind.“ 

„Ich merke, Sie haben
die Aufgabe so gut wie Sie
können erfüllt.
Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden.“

Mach immer schnell.

Beeil dich.Schau immer vorwärts.

Vermittelt, unter Druck zu stehen

Häufige Formulierungen:

Wir müssen uns beeilen.Ich mache nur schnell…Mach schnell, rasch, eben mal, los.aus Zeitgründen

zeigt schnelle Auffassungsgabe 

schnelle Reaktion und Entscheidung 

oft positive Einstellung, kein Nachgrübeln

Hektiker, der schnell zwischendurch zusätzliche Aufgaben erledigt

 

erledigt mehrere Sachen gleichzeitig, dadurch oft unkonzentriert, überfordert

 

fällt anderen ins Wort und gibt das Gefühl, nicht richtig zuzuhören

„Ich nehme mir für diese
Aufgabe mehr Zeit.“ 

Aufgaben besser strukturieren 

Zeitplanung überdenken

priorisieren 

gründlicher werden in Aufgabenerfüllung,
statt nur auszuprobieren

Streng dich immer an. 

So leicht ist das Leben nicht Man muss alles geben

sucht Unterstützung anderer

Häufige Formulierungen:

Es ist mühsam

Ich kann nicht

Ich weiß nicht

Ich werde es versuchenIch verstehe nicht

Jede Aufgabe wird sehr ernst genommen und ausgeführt.

Jeder (auch kleiner) Auftrag wird zu einer „Jahrhundertaufgabe“. 

Meist wird die umständlichste und schwierigste Lösung eines Problems gewählt. 

keine Improvisation möglich 

Ängste: andere können besser sein, daher sehr konkurrenzbedacht / vergleicht sich gerne mit anderen

Bedenken: Am Ende zählt nur das Ergebnis 

Wichtig ist, eigene Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen. 

sich erlauben, Sachen gelassen zu sehen 

„Auch mir kann etwas leicht gelingen.“

„Auch ich kann Glück haben.“

Mach es immer allen recht.

Sei gefällig, immer liebenswürdig.

oft zustimmend, kopfnickend, bejahend

häufige Formulierungen:

Wie Sie wissen…

Sie wissen ja…

Können Sie vielleicht?Nicht wahr?Verstehen Sie?

fühlt sich für andere verantwortlich

will, dass andere sich wohl fühlen

tut, was andere von ihm erwarten

kommt den anderen entgegen

Harmonie als wichtiges Prinzip

Andere sind wichtiger, als man selbst 

will geschätzt und beliebt sein 

verliert sich selbst und erkennt eigene Bedürfnisse nicht

„Ich darf meine Meinung äußern und auch mal NEIN sagen.“ 

sich um eigene Bedürfnisse kümmern und diese konkret äußern

sich selbst respektieren

Sei in jeder Lage stark.

Beiß die Zähne zusammen.

Pokergesicht

kühl und distanziert

häufige Formulierungen:

Es ist nicht mein Problem / meine Sorge.

bewahrt in jeder Situation Haltung

versucht, als Vorbild zu fungieren 

eisern und konsequent in der Zielerfüllung

nimmt keine Hilfe an

verlässt sich nur auf sich selbst

zeigt keine Schwäche und keine Gefühle

„Ich darf zu meinen Gefühlen stehen und diese auch zeigen.“

Schwäche zeigen

Andere an sich ranlassen und deren Unterstützung erbitten

Umgang im Alltag

Im Alltag sind die Antreiber nicht erfüllbar. Stets und unter allen Umständen liebenswert zu sein, ist unsinnig. Man kann nicht allen sozialen Schwierigkeiten ausweichen. Eine eigene, gut vertretene Meinung wird höher geschätzt, als ständiges Ja-Sagen um des Friedens willen. Auch eine krampfhafte Bemühung um Perfektion führt nicht jedes Mal zum Ziel. Beim ständigen Beeilen kann gerade deshalb einiges missglücken usw.

Sich durch Antreiber steuern zu lassen, nachdem man sie erkannt hat, erzeugt ein destruktives Grundgefühl und schränkt die Möglichkeiten des Handelns ein.

Auswirkungen auf die Teamgestaltung

Die Kenntnis dieser Antreiber bietet gerade im beruflichen Leben die Möglichkeit, Teams optimal zusammenzustellen und die Synergien der Charaktere zu nutzen. Gründlichkeit und Genauigkeit sind sehr wichtige Eigenschaften in vielen beruflichen und privaten Situationen. Dynamik und Tempo des Antreibers nach dem Motto „mach schnell“ sind die Stärke der Außendienstmitarbeiter bzw. besonders bei Stresssituationen im Verkauf wichtig.

Fleiß und Pflichtbewusstsein des „Streng-dich-an“-Antreibers sind genauso wie Loyalität, Rücksichtnahme und Freundlichkeit des „Mach-es-allen-recht“-Antreibers sehr beliebt beim Arbeitgeber. Nur wenn die Antreiber ohne situativen Bezug übertrieben und bedingungslos befolgt werden, sind sie einengend und störend.

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