Nobelpreis geht an mRNA-Forschende

(kib) Die ungarische Biochemikerin Katalin Kariko und der US-amerikanisch Immunologe Drew Weissman erhalten in diesem Jahr den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Sie entwickelten die Basis für mRNA-Vakzinen und trugen so auch dazu bei, dass wirksame COVID-19-Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt werden konnten.

04.10.2023

Medaille mit dem Konterfrei von Alfred Nobel
© Foto: Kay Nietfeld / dpa / picture-alliance
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Die Ehrung kam sicher nicht ganz überraschend, schon im vergangenen Jahr hatten viele mit einem Nobelpreis für die Entwicklung von RNA-Impfstoffen gegen COVID-19 gerechnet. In diesem Jahr hielt das Nobelpreiskomitee in Stockholm die Zeit für reif und ehrt Professorin Katalin Karikó sowie Professor Drew Weissman mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin „für ihre Entdeckungen in Bezug auf Nukleosid-Basenmodifikationen, die die Entwicklung wirksamer mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 ermöglichten“.

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Beide hätten mit ihrer Arbeit den Grundstein für die Entwicklung einer neuen Technologie gelegt, die in der Pandemie Millionen Leben gerettet und schwere Krankheitsverläufe vermieden habe, erläuterte Professor Rickard Sandberg vom Nobelpreiskomitee am Montag (2. Oktober). Karikó war darüber hinaus von 2013 bis 2022 bei Biontech beschäftigt und somit auch direkt an der Entwicklung des Coronaimpfstoffs beteiligt.

Begegnung am Kopierer

Karikó und Weissman sind sich 1998 an der Universität in Philadelphia begegnet – beim Warten an einem Kopiergerät. Den 1955 in Lexington, USA, geborenen Immunologen Weissman trieb zu dieser Zeit die Vorstellung um, die Impfstoffherstellung zu vereinfachen, indem den Menschen nicht mehr abgeschwächte Viren oder umständlich hergestellte virale Proteine injiziert werden, sondern Messenger-RNA (mRNA). Diese lässt sich schnell, spezifisch und zellfrei in großen Mengen produzieren.

Solche RNA sollte menschliche Körperzellen dazu veranlassen, das gewünschte virale Antigen zu erzeugen, ohne dass das Virus selbst, dessen Bestandteile oder ein Vektorvirus injiziert werden müssten.

Das war damals jedoch nicht einfach: mRNA ist notorisch instabil, synthetische Nukleinsäuren werden zudem vom Immunsystem als fremd erkannt und neigen dazu, schwere Entzündungsreaktionen auszulösen, auch ließ sich über die künstlich erzeugte mRNA nur wenig Protein herstellen.

Mit der 1955 in Szolnok, Ungarn, geborenen Biochemikerin Katalin Karikó traf Weissman auf eine mRNA-Spezialistin, die ebenfalls von therapeutischen Anwendungen träumte, aber immense Schwierigkeiten hatte, dafür Forschungsgelder zu bekommen.

Beide taten sich nun zusammen und versuchten, Hindernisse für eine RNA-Vakzine aus dem Weg zu räumen, anfangs jedoch mit wenig Erfolg: Die von Karikó hergestellte mRNA löste auch bei Weissmans Labormäusen schwere bis tödliche Entzündungsreaktionen aus. Die beiden gaben aber nicht auf und versuchten herauszufinden, was genau das Immunsystem gegen die mRNA aufbrachte.

Verleihung am 10. Dezember 2023

Die feierliche Vergabe aller Nobelpreise (Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und Friedensbemühungen) findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. Während der Friedensnobelpreis in Oslo übergeben wird, werden alle anderen Preise in Stockholm überreicht.

Grund für unerwünschte Immunreaktion entschlüsselt

Der Schlüssel liegt offenbar im Verhalten dendritischer Zellen, die einen Riecher für körperfremde RNA haben. Solche Zellen müssen schließlich in der Lage sein, etwa bakterielle RNA von körpereigener zu unterscheiden. Dafür nutzen sie Basenmodifikationen wie Methylierungen oder ähnliche chemische Veränderungen.

Karikó und Weissman wussten damals bereits, dass Säugerzellen häufig einzelne Basen modifizieren, wohingegen dies bei der In-vitro-Transkription zur mRNA-Herstellung nicht der Fall ist. Sie hatten den Verdacht, dass solche Basen-Modifikationen entscheidend sein könnten, um unter dem Radar der Immunüberwachung zu bleiben.

Sie experimentierten daraufhin mit unterschiedlich modifizierten Basen, die sie dendritischen Zellen vorsetzten. Ersetzten sie Uridin durch Pseudouridin, schütteten die Zellen keine Zytokine wie TNF-alpha mehr aus – ein Zeichen für eine ausbleibende Aktivierung.

Diese bahnbrechende Entdeckung veröffentlichen sie im Jahr 2005 in der Zeitschrift „Immunity“ – nachdem viele andere wissenschaftliche Zeitschriften eine Veröffentlichung abgelehnt hatten, obwohl die Forscher auf die enormen Möglichkeiten von RNA-Therapeutika verwiesen hatten.

Doch auch nach der Publikation blieb die Resonanz erst einmal aus: „Ich habe Kati gesagt, dass unsere Telefone reihenweise klingeln werden“, so Weissman in einem Beitrag des Alumni-Magazins „Bostonia“ der Boston University. „Aber nichts geschah. Wir erhielten nicht einen einzigen Anruf.“

Obwohl zutiefst frustriert von diesem Desinteresse machten die beiden weiter und konnten zeigen, dass die basenmodifizierte mRNA in Säugerzellen zu einer starken Proteinproduktion führte, weil ein entscheidendes regulatorisches Enzym damit nichts anzufangen wusste. Damit war eine weitere Hürde auf dem Weg zu einer therapeutischen Anwendung genommen.

Kein Glück mit eigener Firma

2006 patentierten sie ihre Technik und gründeten das Startup RNARx zur Entwicklung von RNA-Therapeutika. Doch gab es damals kaum Investoren, welche der RNA-Technik einen Erfolg zutrauten – das Projekt scheiterte. Ihr Patent wurde von der Universität verkauft, Karikó musste ihre Professorenstelle aufgeben und stattdessen einen Postdoc-Posten annehmen.

Inzwischen waren jedoch andere RNA-Forscher auf die beiden aufmerksam geworden. Die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci boten Karikó die Stelle als Senior Vice President in ihrem Unternehmen an – die Forscherin zog nach Deutschland.

In den USA griff der Zellbiologe und RNA-Forscher Derrick Rossi die Ideen von Karikó und Weissman auf – er gründete mit anderen 2010 die Firma Moderna, die sich ebenso wie Biontech auf die Entwicklung von mRNA-Therapeutika konzentrierte. Als Ende 2019 Berichte über ein neues Coronavirus in China auftauchten, hatten beide Firmen schon einige Jahre Erfahrung mit der Herstellung synthetischer mRNA.

Sobald die Virussequenzen veröffentlicht waren, begann ein Wettlauf mit der Zeit um die Herstellung einer wirksamen COVID-19-Vakzine, basierend auf dem Code für das virale Spike-Protein. Im Rekordtempo von weniger als einem Jahr waren die Vakzinen entwickelt, in klinischen Studien geprüft und in großen Mengen produziert worden.

Quelle: Ärzte Zeitung

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