Polio: Rückmutierte Viren bereiten Sorge

(wg/kib) Obwohl es bei den Bemühungen die Poliomyelitis weltweit völlig zum Verschwinden zu bringen große Erfolge gegeben hat, wurde zum diesjährigen Welt-Polio-Tag am 24. Oktober eine eher durchwachsene Bilanz gezogen. Vor allem rückmutierte Impfviren bereiten Experten Sorge.

01.11.2019

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© Foto: Vesnaandjic / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodellen)
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Zwar wurde mit dem Poliovirus-Wildtyp 3 nun der zweite von drei Virus-Subtypen für ausgerottet erklärt. In Afrika sind zudem seit drei Jahren keine Erkrankung mit Polio-Wildviren mehr aufgetreten und der Kontinent könnte somit als fünfte von sechs WHO-Regionen in naher Zukunft als poliofrei zertifiziert werden.

Weltweit gibt es seit 2016 außerdem mit Afghanistan und Pakistan nur noch zwei Länder, in denen Infektionen mit Polio-Wildviren registriert werden. Und mit nur 22 gemeldeten Erkrankungen 2017 und 33 vergangenes Jahr schien auch dort die Ausrottung zum Greifen nahe.

Leider steigt die Zahl der Erkrankungen in diesen letzten beiden Endemieländern wieder an: Dieses Jahr wurden dort bis zum 22. Oktober bereits 94 Erkrankungen gemeldet, berichtet die International Society for Infectious Diseases.

Weltweit gibt es zudem immer mehr Fälle von Polio, die von den aus Lebendimpfstoff abgeleiteten Erregern verursacht werden. Solche Erkrankungen kommen sehr selten bei Impfung mit der oralen Polio-Vakzine (OPV) vor.

Die OPV gab es bis in die 1990er Jahre auch in Deutschland. Nach der Schluckimpfung scheiden Impflinge die abgeschwächten Impfviren über kurze Zeit aus. Bei schlechter Hygiene können diese sich in der Umgebung ausbreiten. Gefährlich ist es, wenn die Erreger in einer schlecht geimpften Bevölkerung länger zirkulieren. Sie können dann nämlich in pathogene Viren zurückmutieren und Polio verursachen. Durch Wechsel auf den Totimpfstoff (IPV) besteht in Deutschland und anderen Industrieländern ein solches Risiko nicht mehr.

In Entwicklungs- und Schwellenländern wird jedoch an der Schluckimpfung festgehalten, weil sie besonders wirksam und einfach zu applizieren ist. In diesem Jahr wurden deshalb bis Ende Oktober weltweit bereits 102 Erkrankungen mit zirkulierenden vakzine-assoziierten Polioviren (cVDPV) gemeldet.

Eingeschleppte Polioviren aus Endemieländern sind prinzipiell auch gefährlich für Deutschland. Die WHO mahnt daher auch Industrieländer zu großer Wachsamkeit.

Zudem bleiben hohe Impfraten auch in Deutschland wichtig, um im Fall importierter Viren deren Verbreitung zu verhindern.

Das Risiko für solche Ausbrüche steigt in Europa seit einigen Jahren wieder an, berichtet die unabhängige „Regional Commission for the Certification of the Eradication of Poliomyelitis“. Begünstigt wird die Gefahr durch Migration und Flucht nach Europa sowie schwache Impfsysteme und Lücken bei Maßnahmen zur Überwachung potenzieller Ausbrüche.

Ein hohes Risiko in Europa für eine mögliche Ausbreitung von Polioviren sieht die Kommission deshalb in Bosnien und Herzegowina, der Ukraine und Rumänien. In weiteren 22 Nachbarländern wird die Gefahr wegen solcher Defizite als mittelhoch eingestuft, darunter auch in Österreich, Belgien und den Niederlanden.

Deutschland hat nach dem Urteil der Kommission ein niedriges Polio-Risiko. Mit Schutzraten von 92,9 Prozent bei Schulanfängern mit den vier erforderlichen Impfdosen kommen wir der von der WHO empfohlenen Rate von 95 Prozent schon recht nahe.

Allerdings: Die verbleibenden 7,1 Prozent ungeimpfter Schulanfänger stehen immerhin für 50000 Kinder in einem Geburtenjahrgang, betont das Robert Koch-Institut.

Quelle: Ärzte Zeitung

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