"Wir picken uns nicht nur das wirtschaftlich Interessanteste raus"

Wer einen Experten in Sachen Cannabinoide sucht, findet ihn im schwäbischen Bisingen. Hier leitet Johannes Ertelt die Hohenzollern- und die Heidelberg-Apotheke. Seit einem Jahr dürfen Apotheker legal Cannabisblüten auf Rezept an Kunden abgeben. Im Interview berichtet der junge Apothekenleiter von seinen Erfahrungen.

07.03.2018

Johannes Ertelt Cannabis
© Foto: Ertelt-Apotheken / Foto-Vogt Bisingen
Anzeige

Warum haben Sie sich so intensiv mit dem Thema Cannabis auseinandergesetzt?

Aktueller Podcast

Schon zu Studienzeiten in Tübingen hatten wir bei Prof. Karl-Artur Kovar Einblicke in die Welt von ambivalenten Wirkstoff-Gruppen, die sowohl in der Therapie angewandt werden, aber auch als Suchtmittel missbraucht werden können. Hierzu zählen Amphetamine, Lokalanästhetika wie Kokain oder eben Cannabis. Weiterhin sehe ich in der Cannabistherapie sehr viel Potenzial für verschiedene Patienten. Daher ist es selbstverständlich, mich mit jedem neuen Thema so auseinanderzusetzen, dass ich unsere Kunden kompetent beraten kann.

Welche Hürden mussten Sie bis jetzt meistern?

Wir mussten sehr lange auf die Referenzsubstanzen warten, um die vorgeschriebenen Identitätsprüfungen durchführen zu können. Mittlerweile hat sich die Lage diesbezüglich entspannt. Weiterhin habe ich viele Ärzte einzeln informiert beziehungsweise auch sehr oft grundsätzlich aufklären müssen. Es herrscht doch viel Unkenntnis und Unsicherheit.
Auch haben wir es immer wieder mit Lieferproblemen und langen Lieferzeiten bei den meisten Blüten zu tun.

 

Es bleibt bei allem Aufwand für die Apotheke nicht so viel übrig, wie es teilweise dargestellt wird.

Viele scheuen den großen Aufwand – warum lohnt es sich trotzdem, Zeit, Geld und Energie zu investieren?

Wir verstehen uns als Vollversorger und picken uns nicht nur das wirtschaftlich Interessanteste raus. Auch wenn die Cannabispreise medial durch die gesetzlichen Aufschläge als überteuert betrachtet werden, bleibt bei allem Aufwand für die Apotheke nicht so viel übrig, wie es teilweise dargestellt wird. Es lohnt sich trotzdem, weil die Patienten sehr dankbar und sehr treue Kunden sind und wir unsere Kompetenz auch hier voll zum Tragen bringen können.

 

Lohnt es sich für jeden Apotheker?

Jede Apotheke sollte sich fachlich auch bei Cannabis auskennen und anfragende Patienten nicht vorverurteilen. Da es in der Regel treue Kunden sind, lohnt es sich so gesehen meines Erachtens immer.

Welche Kunden kommen zu Ihnen mit einem Cannabisrezept?

Das sind MS-Patienten und andere Menschen mit Spastiken oder chronischen Schmerzen und Krebspatienten. Das Alter der Patienten reicht von 20 bis 82 Jahren. Einige hatten schon vor dem Cannabisgesetz die Blüten über eine Ausnahmegenehmigung verschrieben bekommen. Wir müssen bei neuen Patienten viel beraten. Besonders älteren Patienten erklären wir sehr genau, wie der Vaporisator zur inhalativen Applikationsform funktioniert.

Welche Mitarbeiter sind für die Cannabisrezepturen verantwortlich?

Apotheker und geschulte PTA.

Welche Reaktionen auf Ihr Engagement zum Thema Cannabis haben Sie von Kollegen erlebt?

Die Kollegen sind dankbar, dass sich einer auskennt und lieferfähig ist.

Werben Sie bei Ärzten, Pflegeheimen oder Kunden aktiv für Ihre Cannabiskompetenzen?

Ich habe innerhalb eines Ärztenetzwerkes eine Fortbildung gehalten, aber ausschließlich um das Wissen auf der Verordnungsseite herzustellen beziehungsweise zu verbessern. Bei einzelnen Kunden, bei denen wir einen möglichen Benefit sehen, weisen wir auf die neue Therapieoption hin. Gemäß HWG darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht öffentlich geworben werden. Jedoch hat die Regionalpresse über die neue Therapie berichtet.

Das Interview führte Christoph Niekamp

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *