Parkinsonforschung: Der Hai als Hoffnungsträger

(kib) Ein Wirkstoff aus dem Dornhai beeinflusste in einer Studie die Frequenz des Stuhlgangs bei Parkinsonpatienten positiv. Zwar handelt es sich bei der Studie um eine relativ kleine, kurz andauernde. Dennoch könnten die Ergebnisse in Zukunft die Therapie von Parkinsonkranken verbessern.

04.01.2023

Hai schwimmt im Meer
© Foto: lindsay_imagery / Getty Images / iStock
Anzeige

Die Ergebnisse der randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-IIb-Studie sprechen für eine gute Wirksamkeit von Squalamin-Phosphat gegen Obstipation und möglicherweise auch weitere Parkinsonsymptome. Das Hai-Steroid könnte zudem krankheitsmodifizierende Effekte haben, berichten die Forschenden von der Mayo Clinic in Rochester.

Aktueller Podcast

150 Patienten nahmen teil

An der Studie haben 150 Parkinsonkranke teilgenommen. Sie waren im Mittel 69 Jahre alt und seit acht Jahren an Parkinson erkrankt, die Obstipation bestand im Schnitt seit 13 Jahren. Die Obstipation war definiert als maximal zwei vollständige Darmentleerungen pro Woche.

Zudem mussten die Beteiligten die Rom-IV-Kriterien für Obstipation erfüllen und mindestens zwei der folgenden Faktoren bei je einem Viertel der Stuhlgänge aufweisen: starkes Pressen, klumpiger oder harter Stuhl, Gefühl der inkompletten Entleerung, Gefühl der anorektalen Obstruktion oder manuelle Manöver, um die Defäkation zu erleichtern.

Abführmittel waren im Studienverlauf nur in Notfällen erlaubt, etwa dann, wenn nach drei Tagen noch kein spontaner Stuhlgang erfolgt war. Stuhlgänge innerhalb von 24 Stunden nach Einnahme eines Abführmittels wurden nicht gewertet. Die Beteiligten mussten ein elektronisches Tagebuch führen, um Häufigkeit und Art des Stuhlgangs zu dokumentieren. Daran wurden sie gegebenenfalls mehrfach täglich erinnert.

Squalamin

Squalamin ist ein Steroid-Polyamin-Konjugat, das auf der Suche nach neuen antimikrobiellen Wirkstoffen im Dornhai (Squalus acanthias) entdeckt wurde. Es kann heute synthetisch hergestellt werden.

Für die Parkinsonforschung ist die Eigenschaft interessant, Alpha-Synuclein-Aggregate von Nervenzellmembranen zu lösen. So wird angenommen, dass die parkinsontypische Verstopfung zu einem gewissen Teil auf einer Schädigung des enterischen Nervensystems (ENS) durch Alpha-Synuclein beruht. Ein Alpha-Synuclein-Blocker wie Squalamin könnte daher die prionartige Verbreitung der Konjugate innerhalb des enteralen Nervensystems und auch ins zentrale Nervensystem unterbinden. Damit sollte sich zumindest die Obstipation beheben lassen.

Dosisfindung

Zwei Drittel erhielten das Studienmedikament Squalamin-Phosphat (ENT-01), ein Drittel bekam Placebo. Die Dosis orientierte sich an der Schwere der Obstipation: 150 mg/d waren zu Beginn für Personen mit im Schnitt weniger als einer kompletten Entleerung pro Woche vorgesehen (47 %), die übrigen in der Verumgruppe erhielten 75 mg/d.

Die Dosis konnte jeweils in 25-mg-Schritten bis maximal 250 mg/d erhöht werden, falls kein ausreichender Stuhlgang einsetzte – etwa 75 Prozent in der Verumgruppe benötigten mehr als die Startdosis.

Die aktive Behandlung dauerte 25 Tage, anschließend wurden alle Beteiligten zwei Wochen lang auf Placebo umgestellt. Primärer Endpunkt war die Zahl der vollständigen Darmentleerungen in der Phase nach der Aufdosierung. Dieser Zeitraum erstreckte sich im Schnitt über neun Tage hinweg.

Dreimal höhere Stuhlgangfrequenz

Mit Squalamin-Phosphat kam es in dieser Zeit im Schnitt zu 3,2 vollständigen Darmentleerungen pro Woche, mit Placebo nur zu 1,2, vor Studienbeginn waren es in beiden Gruppen 0,7. Mit Placebo hat sich die Frequenz des Stuhlgangs also nicht ganz verdoppelt, mit Squalamin hingegen mehr als vervierfacht und war zum Schluss fast dreifach höher als in der Placebogruppe.

Nach dem Ende der zweiwöchigen Placebophase in allen Gruppen war die Frequenz auf 2,2 in der einstigen Verumgruppe gesunken und blieb bei 1,2 im ursprünglichen Placeboarm.

Unter Squalamin verbesserte sich ebenfalls die Stuhlkonsistenz, zudem gingen die Beschwerden beim Stuhlgang zurück, und es wurde signifikant seltener ein Laxans zur Notmedikation benötigt, berichtet das Team der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Effekte auf Psyche und Kognition

Interessant sind auch die Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem. Diese wurden exploratorisch erhoben. So hatten elf Personen zu Beginn gelegentlich Halluzinationen, diese gingen im Verumarm deutlich stärker zurück als in der Placebogruppe. Mit Squalamin nahm zudem der Wert des Mini Mental Status Test (MMST) in der Verumgruppe von 24 auf 27 Punkte zu, mit Placebo nur von 25 auf 26 Punkte – in beiden Fällen waren die Unterschiede statistisch signifikant.

Auf die Motorik hatte die Therapie jedoch keinen Einfluss, dafür war die Dauer der Behandlung wohl viel zu kurz. Die kurze Dauer spricht zudem dafür, dass die Effekte auf die Kognition und die Psyche eher symptomatisch sind – ein besser funktionierender Darm dürfte auch den Geist und die Seele beflügeln.

Die Nebenwirkungen beschränkten sich auf den Magen-Darm-Trakt. Etwa ein Drittel entwickelte unter Squalamin anfänglich Übelkeit, ein Fünftel Durchfall. Dies war jeweils bei fünf Prozent unter Placebo der Fall. Die Übelkeit verschwand nach zwei bis drei Tagen, Durchfall ließ sich über eine Dosisanpassung vermeiden.

Das Unternehmen Enterin entwickelt den Wirkstoff zusammen mit Pfizer. Geplant wird nun eine größere Phase-III-Studie mit ENT-01 bei Parkinsonkranken mit Obstipation.

Quelle: Ärzte Zeitung

Kommentar schreiben

Die Meinung und Diskussion unserer Nutzer ist ausdrücklich erwünscht. Bitte achten Sie im Sinne einer angenehmen Kommunikation auf unsere Netiquette. Vielen Dank!

Pflichtfeld *