Cannabis-Arzneimittel: Chancen und Risiken

Auf dem diesjährigen Medicinal Cannabis Congress (MCC) standen Krankheiten im Fokus, die mit den verfügbaren Arzneimitteln oft nicht ausreichend behandelt werden können: die Fibromyalgie, das chronische Fatigue-Syndrom, die Amyloide Lateralsklerose (ALS) sowie Psychosen und chronische Schlafstörungen. Die Mediziner waren sich einig: In vielen Fällen können Cannabis-haltige Medikamente die Therapie ergänzen, ohne dass schwerwiegende Nebenwirkungen zu erwarten sind. Der Infokasten (unten) gibt einen Überblick über einige Studien mit Cannabis-Arzneimitteln, die derzeit durchgeführt werden.
In der Apotheke
Aber auch praktische Fragen, die die Arbeit in der Apotheken-Rezeptur betreffen, wurden auf dem Kongress thematisiert. „Wir haben es in der Apotheke zunehmend mit Cannabisblüten zu tun. Denn die Ärzte der telemedizinischen Plattformen, die derzeit sehr aktiv sind, verschreiben ausschließlich Blüten“, stellte Apothekerin Dr. Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbandes Cannabis-versorgender Apotheken (VCA), fest. Diese neue Situation ist für die Apotheken sehr unübersichtlich. Denn bei vielen Cannabisblüten kommt es zu Lieferengpässen, oder bestimmte Sorten sind nur für kurze Zeit im Markt erhältlich.
Zudem sind die Lieferketten häufig nicht nachvollziehbar. Wesentlich gravierender ist aus ihrer Sicht jedoch, dass der große Bedarf zu einem Preisverfall geführt hat, der oft mit höheren Qualitätsmängeln verbunden ist. Fest steht: Cannabisblüten sind ein Naturprodukt mit einer Restfeuchte und mit natürlichen Kontaminationen, zum Beispiel durch Schimmelpilze. „Die Grundvoraussetzungen für eine hohe Qualität sind ein sauberer Anbau und eine ordnungsgemäße Weiterverarbeitung“, so Neubaur. Um eine ausreichende mikrobiologische Qualität zu gewährleisten, muss der Hersteller die Blüten unbedingt bestrahlen, beispielsweise mit Gamma-Strahlen. Denn wenn Patienten Schimmelpilze inhalieren würden, könnten schwerwiegende Infektionen die Folge sein, betonte die Apothekerin.
Mängel bei Analysenzertifikaten
Bei Blüten mit Analysenzertifikat ist in der Apotheke nur noch eine Identitätsprüfung notwendig. Soweit die Theorie. Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass die Analysenzertifikate oft Mängel aufweisen. So ist beispielsweise das Prüflabor nicht angegeben, oder die Person, die die Prüfung durchgeführt hat, ist nicht namentlich genannt und hat nicht unterschrieben. „Dann weiß ich natürlich nicht, an wen ich mich bei Rückfragen wenden kann“, gab Neubaur zu bedenken.
Sie berichtete auch von Fällen, bei denen das Verfahren, das zur Keimzahlreduktion angegeben wurde, nicht genannt war oder nicht nachvollzogen werden konnte, ob es sich um ein validiertes Verfahren handelt. Zwar sind die Anforderungen an die mikrobiologische Qualität von Zubereitungen zur Inhalation in einer Monografie des Europäischen Arzneibuchs geregelt.
Pharmazeuten halten es jedoch für notwendig, dass die Monografie „Cannabisblüten“ des Europäischen Arzneibuches geeignete mikrobielle Grenzwerte für Blüten enthält. Methoden zur Verringerung der Keimbelastung sollten vollständig validiert sein, fordern beispielsweise auch die Mitglieder des Fachausschusses „Medizinisches Cannabis“ der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). „Die Alternative zu Blüten sind inhalierbare Rohextrakte, die derzeit von zwei Firmen angeboten werden“, ergänzte Neubaur. Diese Extrakte können mit den verfügbaren Vaporisatoren appliziert werden.

Cannabis-basierte Arzneimittel können bei chronischen Rückenschmerzen eine therapeutische Option sein – insbesondere, wenn konventionelle Schmerztherapien nicht ausreichend wirken.
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Rückenschmerz ist mehr als „Rücken“
Chronische Rückenschmerzen sind in Deutschland die häufigste chronische Schmerzart. „Und sie sind eine Herausforderung für die Therapie“, stellte Prof. Thomas Herdegen, der wissenschaftliche Leiter des 6. MCC, fest. Das Problem: Von Rückenschmerz Betroffene geraten oft in einen Teufelskreis: Die Schmerzen führen zu Schlafstörungen, Depression und physischen Einschränkungen, die miteinander in Wechselwirkung stehen und die Schmerzen verstärken können. „Die Effektstärke der verfügbaren Analgetika ist oft nicht ausreichend“, so Herdegen.
Zudem haben starke Schmerzmittel wie Opioide viele unerwünschte Wirkungen. Zubereitungen mit Medizinalcannabis besitzen analgetische Eigenschaften und können außerdem Symptome wie Schlafstörungen lindern. Das Problem: Fast alle gegen Schmerzen und damit verbundene Symptome eingesetzten Cannabis-Zubereitungen sind Blüten, Extrakte oder daraus hergestellte Formulierungen, die nicht in klinischen Studien geprüft wurden.
Die wenigen verfügbaren Fertigarzneimittel wie beispielsweise Sativex sind wiederum nicht für Rückenschmerzen zugelassen. Mit großer Spannung erwarten deshalb Schmerztherapeuten wie Prof. Matthias Karst, Oberarzt und Leiter der Schmerzambulanz an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) die Zulassung des ersten Cannabis-Fertigarzneimittels VER-01 gegen chronischen Rückenschmerz. Karst gab einen Überblick über die Ergebnisse einer Phase-3-Studie, in der das Prüfmedikament VER-01 die Rückenschmerzen signifikant stärker reduzierte als Placebo.
Außerdem besserten sich die Schlafqualität und die physischen Funktionen. Damit könnte das vor der Zulassung stehende Arzneimittel, das vom Münchner Biopharmaunternehmen Vertanical entwickelt wurde, eine Alternative für Patienten mit Rückenschmerzen sein.
Quelle: 6. Medicinal Cannabis Congress, Deutsche Medicinal-Cannabis Gesellschaft e.V. (DMCG), Berlin, Juni 2025
Beispiele für Studien mit Medizinal-Cannabis* |
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Name |
Thema |
BELCANTO |
Befindlichkeitsverbesserung unter Cannabinoid-Extrakten bei 170 onkologischen Palliativpatienten. Doppeltblinde randomisierte Phase-2-Studie (Studienleiter: Prof. em. Dr. med. Thomas Herdegen, Dr. med. Claudia Schmalz, Klinik für Strahlentherapie des Universitätsklinikums in Kiel) |
CORAL |
Cannabinoid-Therapie in der Palliativmedizin. Prospektive, nicht interventionelle Anwendungsbeobachtung zum Einsatz von Cannabis-Arzneimitteln zur Reduktion der Symptome bei 150 Patienten in komplexen palliativen Situationen (Studienleiter: Prof. Dr. med. Sven Gottschling, Universitätsklinikum des Saarlandes) |
IMPACT |
Improvement of sleep in pain patients under cannabis treatment. Einsatz von Medizinal-Cannabis zur Verbesserung der psychologischen Symptome bei 100 chronischen Schmerzpatienten mit auffälliger oder ausgeprägter Insomnie (Studienleiter: Dr. med. Richard Ibrahim, München) |
CAMFIT |
Prospektive multizentrische Anwendungsbeobachtung zur Beurteilung der Wirksamkeit einer unterstützenden Behandlung mit verschiedenen oralen THC- und CBD-haltigen öligen Cannabis-Extrakten zur Verbesserung der Lebensqualität von Fibromyalgie-Patientinnen; z. Zt. mehr als 50 eingeschlossen (Studienleiter: Dr. med. Dipl. Chem. Konrad F. Cimander, Leiter des Kompetenzzentrums für Cannabis-Medizin, Hannover) |
Pilotstudie |
Einsatz von oralen Cannabis-Extrakten gegen chronische Schmerzen und zur Verbesserung der Lebensqualität bei 22 Patientinnen mit Endometriose (Studienleiterin: Prof. Dr. med. Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriosezentrums an der Charité-Universitätsmedizin Berlin) |
*ohne Anspruch auf Vollständigkeit