Fachbegriffe: Ich verstehe nur Bahnhof

Sie kennen das bestimmt. Plötzlich steht ein Kunde oder eine Kundin mit einem Entlassbrief aus dem Krankenhaus vor Ihnen in der Apotheke und bittet Sie um Übersetzungshilfe. So auch die Kundin Frau Murken*, die von PTA Frau Plietsch* wissen will, was denn der Urwald an Fremdwörtern in dem Schreiben der Klinik zu bedeuten hat und ob sie nun einen Schlaganfall hatte oder nicht. Gemeinsam besprechen PTA und Kundin den Entlassbrief in der Beratungsecke der Apotheke.
Alleinstellungsmerkmal
Aufklärungsgespräche wie der Dialog mit Frau Murken kosten das pharmazeutische Personal Zeit, ohne Frage. Auf der anderen Seite sind sie aber ein Alleinstellungsmerkmal der Apotheke vor Ort und ein sehr gutes Instrument zur Kundenbindung. Etwas, was kein Versandhandel leisten kann. Damit solche Gespräche gelingen, ist Empathie gefragt. Nicht jede Diagnose, die im Arztbrief steht, sollte in aller Härte ausgesprochen werden. Insbesondere, wenn nicht sicher ist, dass der Kunde oder die Kundin diese überhaupt schon bewusst erfahren hat. Mit Fingerspitzengefühl gilt es dann zu erfragen, was bisher verstanden wurde.
Im Zweifel können PTA sagen, dass sie selbst nicht alles übersetzen können. Denn gerade eine schwerwiegende Diagnose sollte im Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt erklärt werden und nicht am HV-Tisch. Der Kundin Frau Murken, die unter Diabetes mellitus und Bluthochdruck leidet, kann dagegen geholfen werden. Nach dem Gespräch, in dem PTA Frau Plietsch ihr die wichtigsten Begriffe übersetzt, versteht sie, wieso sie einen Schlaganfall erlitten hat. Gleichzeitig wird sie durch die Einsicht in ihre Erkrankung zu mehr Therapietreue ermuntert und weiß sich bei ihrer Stammapotheke in guten Händen.
Lesen Sie im Folgenden den Dialog zwischen PTA und Kundin. Als besonderen Service finden Sie auf den nächsten Seiten außerdem eine Tabelle, in der Fachbegriffe zum Thema Schlaganfall aufgenommen und erläutert werden.
Dialog
PTA: Guten Morgen Frau Murken, was kann ich für Sie tun?
Frau Murken: Ach Frau Plietsch, können Sie mir weiterhelfen? Ich war doch im Krankenhaus. Weil ich plötzlich ganz viele Wörter vergessen habe und alles nur noch wie durch Kleister ging. Erst hieß es, ich hätte einen Schlaganfall. Die im Krankenhaus waren dann anderer Meinung und wollten mich schon entlassen. Dann musste ich doch bleiben, weil ich auf der Station einmal ins falsche Zimmer gelaufen bin. Ich hatte die Krankenschwester falsch verstanden. Deshalb meinte eine Ärztin, ich wäre orientierungslos, und es sei doch ein Schlaganfall. Von da an hat keiner mehr so richtig mit mir gesprochen. Nun habe ich hier einen Entlassbrief mit einem Urwald an Fremdwörtern bekommen. Aber von Schlaganfall steht da gar nichts. War das nun doch keiner?
PTA: Na, das ist ja ein Kuddelmuddel. Kommen Sie mit, Frau Murken, wir setzen uns in die Beratungsecke, und dann schaue ich mir den Brief mal an.
Frau Murken: Das ist prima. Bis zum Termin beim Hausarzt dauert es noch. Dort habe ich eben nur den anderen Brief abgegeben und diese Rezepte hier bekommen.
PTA: Also, hier in Ihrem Brief steht, dass Sie einen linkshemisphärischen Mediainsult hatten. Also tatsächlich einen Schlaganfall. Der hat sich in der linken Gehirnhälfte ereignet. Ausgelöst wurde er durch ein Blutgerinnsel in einer Arterie. Diese heißt Arteria cerebri media. Aus diesem Grund wird der Schlaganfall in Ihrem Brief in der Fachsprache auch als Mediainsult bezeichnet.
Frau Murken: Ach Gottchen, das soll nun einer verstehen. Und was ist mit dieser Ischämie? Das Wort taucht im Brief ja auch dauernd auf.
PTA: Eine Ischämie umschreibt eine Durchblutungsstörung. Diese entsteht durch ein Blutgerinnsel, das ein Blutgefäß verstopft. In Folge wird das Gewebe hinter dem Blutgerinnsel dann nicht mehr ausreichend mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Bei längerem Sauerstoffmangel sterben die Zellen ab. Das ist bei Ihrem Schlaganfall passiert.
Frau Murken: Aha, das verstehe ich. Und warum haben die im Krankenhaus so viel an meinen Blutdruckmitteln getüdelt?
PTA: Hier steht, dass Ihr Blutdruck sehr hoch war, als Sie ins Krankenhaus gekommen sind. Das ist mit dem Ausdruck arterieller Bluthochdruck mit hypertensiver Entgleisung gemeint. Deshalb haben Sie zusätzliche blutdrucksenkende Medikamente bekommen. Ihr Blutdruck wurde außerdem über 24 Stunden gemessen. Das verbirgt sich im Brief hinter dem Begriff LZ-RR-Messung.
Frau Murken: Und wieso muss ich jetzt auf einmal Insulin spritzen, zusätzlich zu meinen normalen Metformin-Tabletten? Steht dazu auch was in dem Brief?
PTA: Als Sie ins Krankenhaus gekommen sind, waren auch Ihre Blutzuckerwerte nicht in Ordnung. Das erkennt man am HbA1c-Wert, dem Langzeitzucker. Dieser zeigt, wie hoch der Blutzucker in den letzten acht bis zwölf Wochen war. Da bei Ihnen dieser Langzeitzuckerwert zu hoch ist, wurde Ihnen Insulin zur besseren Einstellung Ihrer Blutzuckerwerte verordnet. Ihre Metformin-Tabletten werden deshalb jetzt übrigens niedriger dosiert als vor Ihrem Krankenhausaufenthalt.
Frau Murken: Und was bedeutet die Sache mit dem nephrologischen Konsil. Ich kenne Konzile, also Versammlungen, eigentlich nur aus der katholischen Kirche.
PTA: Mit der katholischen Kirche hat das gar nichts zu tun. Nephrologisches Konsil heißt hier, dass die Krankenhausärzte einen Facharzt für Nierenerkrankungen hinzugezogen haben. Dieser hat Ratschläge zu Ihrer Behandlung gegeben. Denn bei Diabetikerinnen wie Ihnen ist es wichtig, die Nierengesundheit gut zu überwachen.
Frau Murken: Ah, das leuchtet mir ein. Wenn ich den Brief richtig verstehe, soll ich mir außerdem bei meinem Hausarzt eine Überweisung zum Diabetologen holen?
PTA: Ganz genau. Das ist mit der ambulanten diabetologischen Anbindung gemeint. Denn neben zu hohem Blutdruck erhöhen auch schlecht eingestellte Blutzuckerwerte das Risiko für einen Schlaganfall. Es ist also wichtig, dass Sie Ihre Blutzuckerwerte regelmäßig kontrollieren lassen und Ihre Medikamente genau nach Plan einnehmen. Und da kann Ihnen ein Diabetologe am besten helfen.
Frau Murken: Auf jeden Fall. So etwas soll mir nicht noch einmal passieren. Warten Sie, das mit dem Diabetologen schreibe ich mir auf. Kann es übrigens sein, dass ich auch noch Corona bekommen habe im Krankenhaus? Das Wort Corona wird in diesem Briefabschnitt hier dauernd erwähnt.
PTA: Frau Murken, keine Sorge, dabei geht es um Ihr MRT -Bild und nicht um die Corona-Erkrankung. Als Sie in die Röhre mussten, wurde von Ihrem Gehirn ja ein Bild gemacht. Mit dem Begriff Corona radiata ist der Bereich Ihres Gehirns gemeint, in dem sich Ihr Schlaganfall ereignet hat. Die Worte posterior, anterior und parietal zeigen dabei an, an welcher Stelle dieses Gehirnbereichs es zu den Durchblutungsstörungen gekommen ist. Posterior heißt hinten, anterior vorn, und parietal bedeutet seitlich.
Frau Murken: Ach so! Na, das soll einer verstehen. Danke, Frau Plietsch, Sie haben mir wirklich weitergeholfen. Ich hatte also tatsächlich einen Schlaganfall, aber kein Corona. Außerdem muss ich besser auf meinen Blutdruck aufpassen. Und wegen meiner schlechten Blutzuckerwerte sollte ich zum Diabetologen, richtig?
PTA: Richtig. So, dann stelle ich Ihnen jetzt die neuen Medikamente zusammen und drucke Ihnen einen aktuellen Medikationsplan aus. Außerdem bekommen Sie von mir ein Diabetestagebuch mit. In das tragen Sie bitte immer Ihre Blutzuckerwerte und die gespritzten Insulinmengen ein. Übrigens, steht eigentlich die empfohlene AHB auch an?
Frau Murken: Die was? Ach, Sie meinen mit AHB die Anschlussheilbehandlung. Genauer gesagt die medizinische REHA! Ja, da warte ich auf einen Termin.
PTA: Prima. Dann werden Sie mal schnell wieder fit. Und wenn Sie weitere Fragen haben, kommen Sie jederzeit bei uns in der Apotheke vorbei.
Frau Murken: Das mache ich. Bis bald mal wieder, Frau Plietsch. Und vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für mich genommen haben.
*Namen von der Redaktion erfunden
Medizinische Fachbegriffe zum Thema Schlaganfall |
|
Begriff |
Erklärung |
AHB |
Anschlussheilbehandlung, eine Rehabilitationsmaßnahme (REHA), die direkt vom Krankenhaus aus beantragt wird und sich meist kurzfristig anschließt |
anterior |
im vorderen Bereich |
Arteria cerebri media |
eine der drei Hauptarterien des Gehirns |
Corona radiata |
Teil der weißen Substanz des Gehirns, die Fasern enthält, die die Großhirnrinde mit anderen Hirnarealen verknüpfen |
Hemisphäre |
Hirnhälfte |
hypertensive Entgleisung |
starke Blutdruckerhöhung, aber ohne Organbeschwerden |
Ischämie |
mangelnde oder fehlende Blutversorgung |
Konsil |
die Beratung einer Ärztin / eines Arztes durch eine Fachärztin / einen Facharzt bezüglich einer konkreten Patientin / eines konkreten Patienten |
LZ-RR-Messung |
Blutdruckmessung am Oberarm über einen längeren Zeitraum (LZ), meist 24 Stunden |
Mediainsult |
Infarkt in der Arteria cerebri media, eine sehr häufige Form des Schlaganfalls |
MRT |
Magnetresonanztomografie, bildgebendes Verfahren, das über Magnetfelder schichtweise Aufnahmen von Weichteilen und Organen ermöglicht |
Nephrologie |
Nierenheilkunde |
parietal |
im seitlichen Bereich |
posterior |
im hinteren Bereich |
RR |
Riva-Rocci, Erfinder der unblutigen Blutdruckmessung, wird synonym eingesetzt für die Angabe des arteriellen Blutdrucks |