Lüneburger Heide: Alles lila

Bis Mitte September ist sie zu sehen: die Besenheide in voller Blüte. Wer sich dieses violette Farbspektakel nicht entgehen lassen will, sollte sich schnell auf den Weg in die Lüneburger Heide machen.

von Bettina Hagen
30.08.2017

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Wenn im Sommer die Lüneburger Heide farbenfroh in violetten Tönen leuchtet, zieht es weit über eine Million Besucher in die Region zwischen Hamburg, Bremen und Hannover. Es ist ein Naturschauspiel, das nach einer alten Bauernregel vom 8. August bis zum 9. September dauert. In dieser Zeit blüht dort die Besenheide (Calluna vulgaris), die auf den sandigen nährstoffarmen Böden besonders gut gedeiht und das Bild der Kulturlandschaft bestimmt. Im Norden des Gebiets liegt der Naturpark Lüneburger Heide, der erste Naturpark Deutschlands und mit einer Fläche von 107 000 Hektar auch einer der größten.

Nichts verleiht dem Spätsommer so viel Farbe wie die Besenheide.

Herzstück und touristisches Highlight ist die Gegend rund um die Dörfer Wilsede und Bispingen, wo sich mit 23 400 Hektar die größte zusammenhängende Heidefläche Mitteleuropas befindet. Bereits 1921 wurde dieser Teil zum Naturschutzgebiet erklärt und ist damit das älteste in Deutschland. Viele Superlative für einen Landstrich, dessen Wahrzeichen neben der Heide auch Wacholderbäume sind, wegen ihres säulenförmigen Wuchses auch „Zypressen des Nordens“ genannt. Dazu kommen weitläufige Laubwälder mit alten Eichen und Buchen, geheimnisvolle Moorlandschaften, glasklare Flüsse und Bäche – alles Heimat von seltenen Tierarten wie Schwarzstörche, Birkhühner, Fischotter und Eisvogel. Ein Eldorado für Wanderer, die die Vielfalt am besten auf dem 234 Kilometer langen, mehrfach prämierten „Heidschnuckenweg“ von Hamburg Fischbek bis nach Celle erleben können.

Aus dem Gletscher

Das heutige Gesicht der Lüneburger Heide führt zurück in die Eiszeit. Damals war die Region ein riesiges Gletschergebiet; gewaltige Eismassen schoben mächtige Erdwälle auf, die Endmoränen. Aus dieser Zeit stammt auch der Wilseder Berg im Herzen des autofreien Naturschutzgebiets, der mit 169 Metern die höchste Erhebung der Nordwestdeutschen Tiefebene ist. Von Einheimischen ironisch als „Heide-Himalaya“ bezeichnet, hat man von dort einen spektakulären Blick und kann bei klarer Sicht das 65 Kilometer entfernte Hamburg erkennen. Zahlreiche Steinbrocken und Findlinge aus Granit, teilweise bis zu 300 Tonnen schwer, liegen verstreut in der Landschaft. Souvenirs aus Skandinavien, die von den dortigen Gletschern abgerissen und mit den wuchtigen Eisbewegungen bis in die Heide transportiert wurden. Mit der Erderwärmung schmolzen die Gletscher, das Ende der Eiszeit lässt neues Leben entstehen. In ganz Europa breitet sich ein flächendeckender Mischwald aus, der in der Lüneburger Heide nur von Bächen und Moorgebieten unterbrochen ist.

Der Mensch übernimmt

In der Jungsteinzeit vor etwa 5000 Jahren siedeln sich die ersten Ackerbauern in der Region an. Mit Brandrodung drängen sie den Wald zurück, doch der sandige Boden ließ ohne Dünger keine Bewirtschaftung zu. Nur das anspruchslose Heidekraut gedieh prächtig und eroberte das waldfreie Gebiet.

Im Mittelalter machten die Heidebauern mit einer cleveren Methode die Äcker fruchtbar. Sie trugen Heidepflanzen in mühevoller Handarbeit ab und nutzen sie als Streu in den Schafställen. Durch Kot und Urin der Tiere entstand so ein nährstoffreicher Dünger für die Ackerflächen. Noch heute gehören die Heidschnucken zum Landschaftsbild, über Jahrhunderte versorgten sie die Bauern nicht nur mit Dünger, sondern auch mit Wolle. Anfang des 19. Jahrhunderts geriet die Heidebauernwirtschaft in eine schwere Krise. Künstlicher Dünger kam auf den Markt, Konkurrenzprodukte zu Wolle und Heidehonig trieben die Region in Hunger und Armut. Die Bauern verkauften ihr Land, und es wurde begonnen, die Region wieder aufzuforsten. Vielen Heideregionen in Europa geht es ähnlich, immer mehr Heideflächen verschwinden von der Landkarte. Dass sie in Norddeutschland zu großen Teilen bewahrt werden konnten, ist vor allem engagierten Natur- und Heimatschützern zu verdanken, die 1919 den ersten Naturschutzverein Deutschlands gründeten und sich für den Erhalt und die Pflege der Heideflächen einsetzen. Mit dem zunehmenden Heidetourismus wurde der Schutz der Flächen zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor.

Tierische Landschaftspflege

Wer in der Lüneburger Heide unterwegs ist, wird sie sehen: Schäfer, die mit ihren Heidschnucken und Ziegen umherziehen. Die berühmten Heidschnucken mit ihren gedrehten Hörnern sind eine alte, anspruchslose Schafrasse, die ursprünglich von den auf Sardinien und Korsika beheimateten Mufflons abstammen soll. Heute leisten sie, wie schon im Mittelalter, einen unerlässlichen Beitrag zur Pflege der Heideflächen. Das ganze Jahr über fressen sie aufkommende Gehölze, Gräser und Kräuter ab und sorgen so dafür, dass die Heide kurz bleibt, nicht verwaldet und im Sommer blühen kann.

Über 9000 Heidschnucken sind in der Region unterwegs, aufgeteilt in 13 Herden. Zwei davon gehören Günther Beuße. 400 Schafe, 300 Lämmer und 65 Ziegen hat der 74-Jährige, die er gemeinsam mit einem Mitarbeiter betreut. Jeden Morgen um halb elf Uhr führen sie die Tiere aus dem Stall, abends um sechs kommen die Herden zurück. Beuße ist für eine Fläche von 500 Hektar zuständig, auf der er die Tiere grasen lässt. 15 Kilometer legt der ausgebildete Tierwirt dabei täglich zurück. Begleitet wird er von seinen beiden Bordercollies, die dafür sorgen, dass keines der Tiere die Herde verlässt. Manchmal schließen sich auch interessierte Gäste an.

Ein idyllisches Bild, allerdings nur auf den ersten Blick. Es ist ein Knochenjob. „Heute morgen habe ich schon 18 Schafe geschoren“, erzählt er. Doch Geld bringt ihm das keins. „1950 hat man für ein Kilogramm Wolle noch 24 Mark bekommen, heute sind es zehn Cent“. Seinen Unterhalt bekommt er vom Land, das seine Dienste als Schäfer einkauft. Insgesamt 15 Schäfer pflegen die Lüneburger Heide mit ihren Herden, bei Wind und Wetter. Beuße ist Schäfer aus Leidenschaft, hat den Beruf von seinem Vater übernommen. Seine Söhne hingegen haben einen anderen Weg eingeschlagen. Gibt es ein Nachwuchsproblem? „Nein“, sagt Beuße, „wir haben sechs junge Schäfer, das Interesse ist da, der Nachwuchs ist gesichert“. Und das ist gut so, denn Schäfer Beuße möchte demnächst etwas kürzer treten.

Weitere Information:www.naturpark-lueneburger-heide.de

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