Rechtsmedizin: Gift oder Rotkohl

Eine vermutete E605-Vergiftung entpuppt sich als Verfärbung durch Rotkohlgenuss. Das zeigt ein weiteres Mal, dass positive Resultate bei einem Giftnachweis unbedingt hinsichtlich ihrer Plausibilität zu überprüfen sind.

von Prof. Dr. Harald Schütz
30.08.2018

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© Foto: [M] Rotkraut: silencefoto / stock.adobe.com | Schädel: simmittorok / stock.adobe.com
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Die Obduzenten fanden im Rahmen einer rechtsmedizinischen Sektion einen auffällig blau gefärbten Abschnitt des Dünndarms und vermuteten zunächst eine Vergiftung mit dem hoch toxischen Pflanzenschutzmittel Parathion (E 605), das üblicherweise den Warnfarbstoff Benzidinblau enthält. Diese falsch positive Verdachtsdiagnose war jedoch nicht plausibel, da sich die fortgeschrittene Darmpassage nicht mit dem rasch wirkenden Gift Parathion vereinbaren ließ. Tatsächlich lag keine Vergiftung vor, und der Darminhalt stellte sich als Rotkohl heraus, dessen Farbe wegen dessen Indikatoreigenschaft im alkalischen Milieu des Dünndarms nach blau umgeschlagen war.

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Andererseits sind aber auch falsch negative Ergebnisse nicht ohne Risiko, wenn dadurch beispielsweise eine Vergiftung übersehen und auf lebensrettende Therapien (etwa mit Antidoten) verzichtet würde oder ein drogenabhängiger Schulbusfahrer nicht als solcher erkannt und unverzüglich aus dem Verkehr gezogen würde. Die Plausibilitätskontrolle ist daher unverzichtbarer Gegenstand der internen und externen Qualitätskontrolle.

Plausibilitätskontrolle

Im Rahmen der internen Qualitätskontrolle ist die Plausibilitätskontrolle fester Bestandteil eines modernen Qualitätsmanagements, das Positiv- und Negativproben in jeder Analysenserie fordert und eine Labororganisation nach den Richtlinien der GLP (good laboratory practice) einschließt. Dabei geht es nicht nur um die eigentliche Messtechnik, sondern auch um Dinge wie etwa die ausführliche Beschreibung der Analysenvorschriften, die Archivierung von Messwerten sowie die lückenlose Dokumentation des Weges einer Probe zum und im Labor.

Bei der externen Qualitätskontrolle sind dem untersuchenden Labor Art und Menge eines Fremdstoffes unbekannt und erst nach Übermittlung des Ergebnisses der eigenen Untersuchung an die Prüfstelle erfährt man, ob die Anforderungen erfüllt wurden oder nicht. Bei der Bewertung der Plausibilität sind vor allem folgende Fragen zu beantworten:

  • Ist das Resultat mit dem Zustandsbild vereinbar (s. den eingangs erwähnten Fall)? Dies wäre z.B. auch dann nicht der Fall, wenn ein Patient trotz einer angeblich festgestellten Blutalkoholkonzentration von drei Promille ohne nennenswerte Ausfallerscheinungen ist. In diesem Fall wäre neben einem Analysenfehler auch eine Vertauschung von Untersuchungsmaterial zu diskutieren.
  • Lässt sich ein Trend vernünftig erklären? Im Rahmen der Trendkontrolle stellt sich die Frage, um welchen Wert sich ein Parameter in einer bestimmten Zeit ändern kann, um vernünftig erklärbar zu bleiben. Nicht plausibel wäre es, wenn eine Blutalkoholkonzentration von drei Promille spätestens nach 30 Stunden immer noch nicht in den Bereich physiologischer Werte abgefallen ist, da der menschliche Organismus pro Stunde mindestens 0,1 Promille abbaut und eliminiert. In einem solchen Fall muss eine erneute Alkoholaufnahme stattgefunden haben.
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