Serie Heilpflanzen: Fackel des Mutes

Wer ein trauriges, schweres Herz hat und eine heisere Stimme, koche sich die Königskerze in Fenchel und Wein, empfahl Hildegard von Bingen, die der Königskerze eine seelenerhellende Wirkung zuschrieb.

von Petra Schicketanz
30.08.2016

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© Foto: jonnysek / Fotolia
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Sie mag es steinig und trocken und schert sich nicht, ob sie in Tal- oder Höhenlage wächst – Hauptsache, sie hat es sonnig. Die Großblütige Königskerze (Verbascum densiflorum) wird nach ihrem filzigen Haarwuchs auch Wollblume genannt. Mit dieser Behaarung schützt sie sich vor übermäßiger Verdunstung und ist somit gut an trockene Standorte angepasst. Hildegard von Bingen nannte sie „Wullena“, die Wollige, und auch der botanische Name „Verbascum“ soll von „Barbascum“ (Bart) abgeleitet sein.

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Licht im Dunkeln

Bemerkenswert sind vor allem die hochaufragenden Blütenstände der Großblütigen Königskerze: Meist 1,50 Meter hoch, können sie gelegentlich sogar bis zu drei Meter erreichen. Jede Pflanze trägt bis zu 200 Blüten, die dicht an dicht den Stängel besetzen und ihr den Namenszusatz „densiflorus“ (dichtblütig) erbracht haben. Da jede Blüte eine Kapselfrucht mit rund 300 Samen ausbildet, bringt das ausbreitungsfreudige Braunwurzgewächs pro Jahr 60 000 Samen hervor, die als Ballonflieger mittels Wind und Tiere neue Gefilde erobern. Aufgrund ihres Flavonoidgehalts und der hohen UV-Reflexion leuchten die Blüten hellgelb und sind weithin zu sehen. Der Vergleich mit einer Fackel ist daher mehr als naheliegend.

Es war einmal …

Einer viel zitierten, aber undatierten Legende zufolge, erhielt die Königskerze ihren Namen, als der englische König eines Tages mit seinem Sohn die römischen Katakomben besuchte. Aus einer Laune heraus pflückte der Königssohn vor dem Betreten Blumen und nahm sie mit, als ein ortskundiger Führer die herrschaftlichen Gäste in das berühmte Labyrinth geleitete, in dem sie sich ohne fremde Hilfe niemals zurechtgefunden hätten. Vieles gab es zu sehen und zu bestaunen in dem unheimlichen Reich unter der Erde. So abgelenkt, gelang es dem Führer, den König zu Boden zu schlagen und zu berauben. Die einzige Lichtquelle, eine mitgeführte Fackel, nahm er natürlich mit. Seine Opfer ließ er hilflos in der Dunkelheit zurück. Der Vater drohte zu verzweifeln, doch sein gottesfürchtiger Sohn betete um Hilfe. Da erstrahlten plötzlich die Blumen in seiner Hand und leuchteten den beiden den Weg zurück aus dem finsteren Irrgarten. Nach diesem Vorfall wurden die Blumen Königskerzen genannt und gelten auch heute noch als ein Symbol für Mut und Hoffnung.

Volkstümliches

In alten Zeiten wurden Königskerzen tatsächlich als Fackeln benutzt. Zu diesem Zweck bestrich man sie mit Pech oder Öl. Allgemein hieß es, eine Königskerze verleihe Furchtlosigkeit und Schutz vor Dämonen, Geistern und allem Bösen. Sie gehörten später auch in die Kräuterbüschel, die alljährlich in der katholischen Kirche geweiht wurden.

In manchen Gegenden galt es allerdings als gefährlich, die majestätischen Pflanzen zu pflücken und mit nach Hause zu nehmen. Das sollte das Risiko für einschlagende Blitze fördern (Blitzkerze oder Wetterkerze). Zudem wurde ihnen eine Beziehung zum Totenreich nachgesagt. Blühten die Stauden am Haus eines Menschen, der kürzlich zu Grabe getragen worden war, so hatte der Verstorbene eine anstehende Wallfahrt unterlassen, die von den Angehörigen nachgeholt werden sollte. Wuchs die Königskerze dagegen direkt auf einem Grab, so könne der Gestorbene nicht aus dem Fegefeuer heraus und bitte ebenfalls darum, ihn durch eine Wallfahrt zu erlösen. Obendrein hieß es, die Pflanze verliere ihren Duft, wenn ein Leichenzug an ihr vorüber käme.

Unbecirct

Auf seiner zehnjährigen Irrfahrt kam Odysseus auch zur Insel Aiaia, wo die sagenumwobene Circe lebte, die üblicherweise ihre Gäste in zahme Wölfe und Löwen verzauberte. Für die Mannschaft des Odysseus hatte sie sich jedoch etwas anderes ausgedacht und verwandelte die Männer in Schweine. Da half Götterbote Homer dem leidgeplagten Seefahrer und gab ihm unter dem Namen „Moly“ eine Königskerze mit. Die schützte ihn vor Circes Zauberkraft, sodass Odysseus unbeschadet mit schwertreichen Gesten die Dame überzeugen konnte, seinen Männern wieder die ursprüngliche Gestalt zu schenken.

Zum Abhusten

Königskerzenblüten haben sich als milde Expektoranzien bei Katarrhen der Luftwege bewährt, vor allem, wenn diese mit erheblicher Schleimhautreizung einhergehen. Die enthaltenen Schleimstoffe besitzen eine reizmildernde Wirkung, indem sie die Bereiche, in denen das Schleimhautepithel angegriffen ist, einfach abdecken.

Volksmedizinisch ist die Droge auch als Diuretikum und Antirheumatikum im Einsatz. Das so genannte Königsöl soll bei Ohrenschmerzen, Furunkeln am Ohr sowie Ekzemen und chronischen Entzündungen im Gehörgang helfen. Zur Herstellung werden frische Blüten in einem verschließbaren Glasgefäß mit kalt gepresstem Olivenöl bedeckt und unter täglichem Umschütteln drei Wochen lang stehen gelassen.

Faktum
  1. Wollblumen (Verbasci flos) besitzen eine Positivmonografie der Kommission E für die Anwendung bei Katarrhen der Atemwege.
  2. Sie wirken mild expektorierend und haben eine leicht antivirale Wirkung.
  3. Empfohlen wird, drei- bis viermal täglich eine Tasse, jeweils mit einem Gramm Droge zubereitet, zu trinken.
  4. Sollten die Beschwerden länger als eine Woche anhalten oder periodisch wiederkehren, ist ein Arzt zu konsultieren.
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