Serie Rezeptur: Insulin

- Insulin in seiner Eigenschaft als Wachstumsfaktor wird in Form von wässrigen Augentropfen gegen eine degenerative Augenerkrankung, die neurotrophe Keratopathie, verordnet.
- Fertigarzneimittel mit Insulin zur Anwendung am Auge sind in Deutschland nicht auf dem Markt.
- Insulin ist nicht als Rezeptursubstanz erhältlich. Als Ausgangsstoffe für wässrige Augentropfen dient Humaninsulin 100 I. E./ml.
- Insulin ist thermolabil, weshalb die Augentropfen nicht sterilisiert, sondern lediglich sterilfiltriert werden.
Humaninsulin, im Text Insulin genannt, dient nicht nur zur Therapie von Diabetes mellitus. In Form von wässrigen Augentropfen wird mit topisch appliziertem Insulin versuchsweise (Off-Label-Use) die neurotrophe Keratopathie behandelt, eine Erkrankung der Augenhornhaut. Sie wird durch eine Schädigung des Nervus ophthalmicus, einem Teil des Trigeminus-Nervs, ausgelöst. Ursachen können Infektionen mit Herpesviren, operative Eingriffe oder Diabetes mellitus sein. Insulin wirkt hier als Wachstumsfaktor und soll einem Fortschreiten der Krankheit entgegenwirken.
Serie Rezeptur
03/2025 Ambroxol
04/2025 Azithromycin
05/2025 Simvastatin
06/2025 Cannabisextrakt
07/2025 Sorbitol
08/2025 Insulin
09/2025 Imiquimod
10/2025 Propranolol
11/2025 Estradiol, Progesteron
12/2025 Clotrimazol
Exkurs Augentropfen
Zubereitungen zur Anwendung am Auge müssen laut Arzneibuch steril sein. Unter Einhaltung optimaler hygienischer Bedingungen – Arbeitskleidung, Hände- und Flächendesinfektion, Sterilität der Geräte und Ausgangsstoffe, Sterilisation im Endbehältnis beziehungsweise Sterilfiltration – ist es möglich, Augentropfen in der Apotheke herzustellen, ohne über einen Reinraum oder ein Laminar-Air-Flow-System zu verfügen.
Augentropfen sollen außerdem reizarm sein. Das setzt voraus, dass sie über den gleichen osmotischen Druck wie die Tränenflüssigkeit verfügen (Isotonie). Wenn möglich, sollen sie auf einen physiologischen pH-Wert von 7,4 eingestellt sein. Weicht der pH-Wert von Augentropfen zu stark von dem der Tränenflüssigkeit ab, beginnen die Augen nach der Applikation zu tränen.
Sterilfiltration-- Sie wird durchgeführt, wenn eine Sterilisation mittels trockener Hitze aufgrund thermolabiler Ausgangsstoffe im Endbehältnis nicht möglich ist. Bei der Sterilfiltration werden, im Unterschied zur Sterilisation, Bakterien nicht abgetötet, sondern durch Filter mit einer Porengröße von 0,2 Mikrometern beim Einfüllen in das Abgabegefäß aus der fertig hergestellten Augentropfenlösung entfernt. Nach der Filtration muss die Funktionalität der Sterilfilter zwingend mittels Bubble-Point-Test überprüft werden.
Konservierung-- In Mehrdosenbehältnisse abgefüllte Formulierungen müssen konserviert werden. Sind Augentropfen für chirurgische Eingriffe oder zur Anwendung am verletzten Auge vorgesehen, werden sie nicht konserviert und in Einzeldosisbehältnisse abgefüllt.
Die Rezeptur
Actrapid 100 Injektionslösung 1 ml
Isotonische NaCl-Lsg. ad 100 ml, EDO
Dos.: 4 x tgl. 1 Tr. in beide Augen, 6 Wo., dann Kontrolle
Problemanalyse und Lösungen
Insulin-Augentropfen als Fertigarzneimittel sind in Deutschland nicht auf dem Markt. Diese Lücke füllen individuell hergestellte Rezepturarzneimittel. Das DAC/NRF hat für wässrige Insulin-Augentropfen mit einer Endkonzentration von 1 oder 25 I. E./ml Insulin einen Rezepturhinweis erstellt. Außerdem gibt die DAC-Anlage A Empfehlungen für Konservierungsmittel und isotonisierende Zusätze.
Rezeptursubstanz
Problem-- Insulin ist nicht als Rezeptursubstanz erhältlich, deshalb muss ein Fertigarzneimittel verarbeitet werden.
Lösung-- In seinen Rezepturvorschlägen greift das DAC/NRF auf die Fertigarzneimittel Actrapid 100 Injektionslösung oder Huminsulin Normal als Ausgangssubstanz zurück. Die Injektionslösungen enthalten 100 I.E. Insulin/ml und werden mit 0,9-prozentiger Natriumchlorid-Lösung auf 1 oder 25 I. E. Insulin/ml verdünnt. Die Kosten für die Fertigarzneimittel können komplett abgerechnet werden, wenn die kleinstmöglichen, verfügbaren Packungen und je nach Verfügbarkeit Reimporte zur Rezepturherstellung eingesetzt werden.
Stabilität und Sterilität
Problem-- Insulin unterliegt chemischen und physikalischen Abbauprozessen und ist thermolabil. Ferner wird es von Filtermaterialien wie Celluloseacetat adsorbiert.
Lösung-- Aufgrund der thermischen Instabilität von Insulin können die fertigen Augentropfen nicht hitzesterilisiert werden. Das DAC/NRF schlägt deshalb in seinem Rezepturhinweis die Sterilfiltration durch hydrophile Membranfilter mit einer maximalen Porenweite von 0,22 Mikrometern vor. Als Filtermaterial wird Polyethersulfon und nicht Celluloseacetat empfohlen, um Wirkstoffverluste von Insulin durch Adsorption zu vermeiden.
Konservierung und Haltbarkeit
Problem-- Laut DAC/NRF ist nicht bekannt, ob die zur Konservierung von Augentropfen eingesetzten Konservierungsmittel mit Insulin kompatibel sind. Actrapid 100 Injektionslösung und Huminsulin Normal enthalten zwar konservierendes Metacresol, bei der starken Verdünnung der Rezeptur ist jedoch nicht mit einer ausreichenden Wirkung von Metacresol zu rechnen.
Lösung-- Da sowohl die als Ausgangssubstanzen verwendeten Insulinlösungen als auch die zum Verdünnen eingesetzte 0,9-prozentige Kochsalzlösung steril sind, ist, wie beschrieben, eine Herstellung unter aseptischen Bedingungen mit Sterilfiltration möglich. Die fertigen Insulin-Augentropfen sind allerdings als unkonserviert und mikrobiell anfällig einzustufen und sollten in Einzeldosisbehältnisse abgefüllt werden. Das DAC/NRF schlägt unter anderem Polypropylen-Kunststoffspritzen mit einem Milliliter Inhalt als Packmittel vor. Damit sollen Adsorptionseffekte von Insulin durch das Packmittel bei der Lagerung umgangen werden.
Die Kunststoffspritzen können, sofern keine LAF-Box vorhanden ist, unter aseptischen Bedingungen mittels Spritze-zu-Spritze-Filtrationstechnik befüllt werden. Bei Lagerung im Kühlschrank können die sterilen Einzeldosen eine Woche lang verwendet werden. Nach Anbruch ist die jeweilige Einzeldosis sofort nach der Anwendung zu verwerfen. Das Aufbrauchen der Restlösung innerhalb von 24 Stunden ist aus hygienischen Gründen nicht gestattet.
Alternativ können die Insulin-Augentropfen in den Ein-Milliliter-Einmalspritzen tiefgefroren und so bis zu einem Jahr vor mikrobiellem Verderb geschützt werden. Dazu muss bei der Abfüllung allerdings eine Luftblase ins Abgabegefäß miteingeschlossen werden. Diese sorgt dafür, dass die Augentropfenlösung sich beim Einfrieren ausdehnen kann.
Video: Insulin-Augentropfen in der Rezeptur
Praxisbeispiel
Gregor Paulsen* kommt mit einem Rezept von seinem Augenarzt in die Apotheke. Er erzählt PTA Sarah Siegler, dass er vor einigen Wochen einen Herpes zoster im Gesicht hatte. Infolge der Infektion mit Herpesviren scheint nun die Hornhaut der Augen angegriffen zu sein, weshalb sein Arzt ihm Augentropfen verordnet hat. Die Rezeptur setzt sich zusammen aus Actrapid 100 Injektionslösung und isotonischer Kochsalzlösung. Da Sarah Siegler diese Augentropfen noch nie hergestellt hat, vereinbart sie mit Herrn Paulsen, ihn zu benachrichtigen, sobald die Rezeptur fertig ist.
Plausibilitätsprüfung
Dafür loggt sich Sarah Siegler online in den DAC/NRF-Rezepturenfinder ein und freut sich, als sie einen Rezepturhinweis für Insulin-Augentropfen findet. Sie überprüft, ob die für Herrn Paulsen verordnete Dosierung korrekt ist und sich das Insulin mit der Kochsalzlösung verträgt. Sie stuft die Rezeptur als kompatibel ein.
Herstellungsanweisung
In Anlehnung an die Angaben im DAC/NRF-Rezepturenfinder legt die PTA fest, mit Actrapid 100 und fertig bezogener steriler Kochsalzlösung (100 ml) aus einer Glasflasche zu arbeiten. Beide Ausgangslösungen sind steril und werden am Rezepturplatz unter aseptischen Bedingungen in einem Becherglas mit Glasstab vermengt, in sterile Ein-Milliliter-Spritzen aus Polypropylen sterilfiltriert und mit einem sterilen Konus verschlossen. Bis zur Abholung müssen die Augentropfen im Kühlschrank gelagert werden. Herr Paulsen muss die Spritzen dann bei sich zu Hause einfrieren und vor der Anwendung auftauen.
Herstellung
Sarah Siegler lässt sich die Herstellungsanweisung von der diensthabenden Apothekerin unterschreiben. Als alle Ausgangsmaterialien in der Apotheke eingetroffen sind, zieht sie ihre Schutzausrüstung, bestehend aus Einmalkittel, FFP2-Maske, Schutzbrille, Haube und Einweghandschuhen, an. Dann reinigt sie per Scheuer-Wisch-Desinfektion die Arbeitsfläche: Zuerst wischt sie diese mit einem Tensid-haltigen Mittel und Wasser ab, nach dem Trocknen desinfiziert sie mit Isopropanol 70 Prozent (V/V).
Sterilisieren
Als erstes umwickelt Sarah ein ausreichend großes Becherglas und einen Glasstab mit Alufolie und sterilisiert beides bei 180 Grad Celsius 30 Minuten lang im Trockenschrank.
Mischen
Anschließend gibt sie mit einer sterilen Einmalspritze einen Milliliter Insulin in das sterilisierte Becherglas, verdünnt mit 99 Millilitern isotonische Kochsalzlösung und vermischt das Ganze mit dem ebenfalls sterilisierten Glasstab. Bei der Inprozesskontrolle sieht die Lösung, wie vorgeschrieben, homogen und teilchenfrei aus.
Sterilfiltration
Danach zieht sie in eine sterile Zehn-Milliliter-Spritze die noch unsterilen Insulin-Augentropfen auf und steckt die sterile Filtrationseinheit und den sterilen Adapter auf. Dann drückt sie die noch enthaltene Luft inklusive einer kleinen Menge Erstfiltrat aus der Spritze. Nun lockert sie den Stempel der als Abgabeverpackung vorgesehenen sterilen Ein-Milliliter-Spritze (keine Luft aufziehen), steckt sie auf den Adapter der Zehn-Milliliter-Spritze und filtriert mindestens 0,5 Milliliter Insulin-Augentropfen hinein.
Die fertig befüllte Spritze nimmt sie vom Adapter und verschließt sie mit einem sterilen Verschlusskonus. Weitere Spritzen befüllt sie analog. Wenn die Zehn-Milliliter-Spritze leer ist, trennt sie die Filtrationseinheit ab, befüllt die Spritze neu und filtriert die restliche Augentropfenlösung. Zur Endkontrolle überprüft sie den Sterilfilter mittels Bubble-Point-Test auf Funktionsfähigkeit.
Abgeben
Als Herr Paulsen zur Abholung kommt, erklärt ihm die PTA, wie er die Augentropfen zu Hause einfrieren soll. Täglich darf er vier Spritzen für den Tagesbedarf auftauen. Die Spritzen müssen vor der Anwendung geschüttelt und der Inhalt homogenisiert werden. Eventuell vorhandene Restmengen muss Herr Paulsen aus Hygienegründen sofort nach der Anwendung verwerfen.
*Name von der Redaktion geändert. Die im Beitrag genannten Produkte werden, sofern es Alternativen gibt, beispielhaft genannt.
Dr. Stefan Bär unterstützt die Redaktion bei der Serie fachlich. Die Rezeptur ist sein Spezialgebiet. Er setzt sich dafür unter anderem als Mitglied der Fachgruppe „Magistrale Rezeptur“ der GD Gesellschaft für Dermopharmazie und als Betreuer dreier Rezepturhilfehotlines ein.