Serie Rezeptur: Polidocanol-Creme

Frau Benz*, eine Stammkundin der Hohenzollern-Apotheke, betritt die Offizin. Die junge Frau ist im achten Monat schwanger. Bisher ist ihre Schwangerschaft komplikationslos verlaufen. Allerdings hat sie sich bei PTA Sarah Siegler in letzter Zeit mehrmals über stark juckende Haut im Bauchbereich sowie an Händen und Füßen beklagt. Der Juckreiz (Pruritus) ist so schlimm, dass die Kundin nachts nicht mehr richtig schlafen kann. Weshalb die PTA ihr geraten hat, das Problem mit ihrem Frauenarzt zu besprechen. Hautjucken in der Schwangerschaft ist keine Seltenheit und zum Glück meist harmlos. Bedingt durch Hormonschwankungen verändert sich der Hautzustand. Die starke und schnelle Hautdehnung verstärkt das Problem.
Manchmal kann Juckreiz auch ein Symptom sein für andere Erkrankungen, etwa eine Schwangerschaftscholestase. Dabei ist die Gallen- und in schweren Fällen auch die Leberfunktion der werdenden Mutter beeinträchtigt. Frau Benz erzählt Sarah Siegler, dass sie gerade einen Termin bei ihrem Frauenarzt hatte. Sie legt ihr ein Rezept auf den HV-Tisch, worauf der Gynäkologe eine Rezeptur verordnet hat. Die Kundin berichtet, dass bei ihr und ihrem Baby zum Glück alles in Ordnung ist und das ständige Jucken nur eine Folge der starken Hautdehnung und -trockenheit ist.
Beim Durchlesen der Rezeptur sieht die PTA auf den ersten Blick, dass die Verordnung noch nie in der Hohenzollern-Apotheke hergestellt wurde und auch die Grundlage erst beim Großhandel bestellt werden muss. Deshalb sagt sie Frau Benz die Herstellung erst bis kurz vor Ladenschluss zu.
Die Rezeptur
Polidocanol 10 %
Physiogel® Basis reichhaltige Creme ad 100,0 g
Dosierung:
2 x tgl. dünn auf die betroffenen Stellen auftragen
Plausibilitätsprüfung
Nachdem Frau Benz gegangen ist, macht sich Sarah Siegler an die Recherche. Denn nur plausible Rezepturen dürfen in der Apotheke angefertigt und an Endkunden abgegeben werden. Sie loggt sich zunächst online in das NRF ein. Leider findet sie dort nur Informationen zum Wirkstoff Polidocanol, nicht aber zu der vom Gynäkologen von Frau Benz gewünschten Wirkstoff-Grundlagen-Kombination. Auch in der weiteren Literatur wird sie nicht fündig. Polidocanol, das weiß die erfahrene PTA, lässt sich nicht mit allen Grundlagen verarbeiten. Da es sich bei Physiogel® Basis reichhaltige Creme außerdem um ein Kosmetikum handelt, benötigt sie ein valides Analysenzertifikat des Herstellers. Auch muss sie eine Identitätsprüfung durchführen, bevor sie die Grundlage in der Rezeptur verarbeiten kann. Weshalb sie sich als Nächstes auf der Homepage des Herstellers im Doccheck-geschützten Bereich einloggt. Dort entdeckt sie ein gültiges Analysenzertifikat und eine Prüfanweisung für die Grundlage. Sie freut sich, als sie in den geprüften Rezepturempfehlungen auch noch die verordnete Rezeptur nebst einer Anweisung zur Verarbeitung im Topitec® findet.
Unbedenklichkeit
Polidocanol-- Das Lokalanästhetikum stillt nach dem Auftragen auf die Haut den Juckreiz und wird üblicherweise in therapeutischen Konzentrationen von 0,5 bis zehn Prozent eingesetzt. Der Arzneistoff, für den es früher eine Prüfvorschrift im DAC gab, wird heute im Europäischen Arzneibuch mit strengeren Reinheitsanforderungen unter dem Namen Lauromacrogol 400 aufgeführt und unter dem Warenzeichen Thesit® vertrieben. Er kann pH-unabhängig verarbeitet werden, ist aber oxidationsempfindlich und grenzflächenaktiv. Die fast weiße bis weiße, halbfeste, hygroskopische Masse geht bei 24 GradCelsius teilweise in eine farblose bis gelbliche, viskose Flüssigkeit über. Vor der Verarbeitung sollte sie deshalb im Wasserbad (40 – 50° C) erwärmt und homogen verrührt werden. Lauromacrogol 400 ist als Gefahrstoff eingestuft und kann zu Augenschäden führen. Laut NRF gilt es bei der topischen Anwendung zur Juckreizstillung in der Schwangerschaft aber als unbedenklich. Ein entscheidendes Kriterium bei der schwangeren Stammkundin.
Wichtig-- Beim Bezug von Thesit® ist auf dem Analysenzertifikat immer zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um Lauromacrogol 400 in Arzneibuchqualität handelt.
Physiogel® Basis reichhaltige Creme-- Die Rezepturgrundlage hat einen pH-Wert von 4,6 bis 6,8 und einen Lipidgehalt von 30 Prozent. Sie enthält keine klassischen Emulgatoren oder Konservierungsstoffe, ist hautverträglich und wirkt regenerierend.
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Kompatibilität/Stabilität
Aus Erfahrung weiß Sarah Siegler, dass sich das grenzflächenaktive Lauromacrogol 400 nicht mit jeder Grundlage verarbeiten lässt. Weshalb sie bei der Verarbeitung des Wirkstoffs möglichst auf standardisierte Rezepturen zurückgreift. Sie überlegt weiter, dass das Einarbeiten in mehrphasige Systeme problematisch sein kann. Hier kann sich die Konsistenz stark erniedrigen oder das Emulsionssystem sogar brechen. Ursache dafür ist die Bildung von Mischmizellen mit den in Grundlagen enthaltenen Emulgatoren und Lauromacrogol 400. Da die verordnete Grundlage laut Hersteller keine klassischen Emulgatoren enthält, sieht die PTA darin kein Problem. Aufgrund der hinterlegten Rezepturempfehlungen auf der Website des Grundlagenherstellers stuft sie die Rezeptur als stabil und kompatibel ein.
Konservierung/Haltbarkeit
Bei der Festlegung der Haltbarkeit orientiert sich die PTA ebenfalls an den Vorgaben des Grundlagenherstellers. Dieser gibt bei der Lagerung im Kühlschrank eine Haltbarkeit von 90 Tagen an. Dann überlegt Sarah Siegler noch, ob eine Konservierung erforderlich ist. Beim Blick auf die Inhaltsstoffe der Grundlage entdeckt sie Pentylene Glycol (1,2-Dihydroxypentan; Pentylenglykol). Die feuchthaltende Substanz gilt nicht als klassisches Konservierungsmittel. Sie wird aber in Kosmetika zur hautschonenden Konservierung eingesetzt. Bezogen auf die Wasserphase der Grundlage wirkt sie ab einer Konzentration von zehn Prozent konservierend. Eine weitere Konservierung ist nicht notwendig.
Herstellungsanweisung
Auch hier orientiert sich Sarah Siegler an den Empfehlungen des Grundlagenherstellers. Aus hygienischen und Arbeitsschutzgründen legt sie deshalb fest, dass die Creme mittels vollautomatischem Rührsystem hergestellt wird. Zudem notiert sie, dass auf den Schutz der Augen beim Verarbeiten zu achten ist. In der Hohenzollern-Apotheke wird mit dem Topitec® Touch gearbeitet. Für diesen wählt sie, wie vom Hersteller empfohlen, eine Rührzeit von zwölf Minuten bei 600 UPM. Da es auch durch die Verarbeitung im vollautomatischen System zu einer Konsistenzerniedrigung kommen kann, sollte eine möglichst niedrige Drehzahl gewählt werden. Alternativ, überlegt die PTA, lässt sich die Rezeptur manuell in der Fantaschale herstellen. Um die Bildung von Klumpen zu vermeiden, wird die rezeptierte Menge an Grundlage in der Fantaschale vorgelegt und Lauromacrogol 400 auf einmal eingearbeitet.
Serie Rezeptur
03/2023 Polidocanol-Creme
04/2023 Hydrocortisonacetat-Creme
05/2023 Pasta Exsiccans
06/2023 Lippenpflegebalsam
07/2023 Neomycin-Salbe
08/2023 Zinkoxid-Salbe
09/2023 Clobetasol-Creme
10/2023 Chlorhexidin-Creme
11/2023 Harnstoff-Creme
12/2023 Hustentee
Fazit
Mit den vorbereiteten Unterlagen wendet sich die PTA an ihre Chefin, Apothekerin Christine Ertelt. Die beiden besprechen sich und stufen die Verordnung als plausibel ein. Danach bestellt Sarah Siegler Physiogel ® Basis reichhaltige Creme über den Großhandel der Ertelt-Apotheken.
Herstellung
Nachdem die Grundlage in der Apotheke eingetroffen ist, geht Sarah Siegler ins Labor, zieht ihre Schutzausrüstung inklusive Schutzbrille an und überprüft die Identität des Ausgangsstoffs. Wie auf der Herstellerseite empfohlen, streicht sie dafür eine erbsengroße Menge Grundlage auf einer Glasplatte aus und untersucht die Probe organoleptisch auf Aussehen (glänzend, homogen), Farbe (weiß) und Geruch (geruchslos). Dann entnimmt sie zehn Gramm Grundlage und bestimmt den pH-Wert der Probe. Dieser liegt bei 4,7. Damit entspricht die gelieferte Grundlage den notwendigen Anforderungen und kann weiterverarbeitet werden.
Einwiegen
Als erstes tariert Sarah Siegler eine Topitec®-Kruke mit Mischscheibe und Kurbelwelle aus. Dann wiegt sie die Hälfte der Grundlage ein, und es kommt Lauromacrogol 400 unter Berücksichtigung des Einwaagekorrekturfaktors dazu sowie darüber der Rest der Grundlage (Sandwichverfahren).
Anrühren
Die PTA streicht die Grundlage glatt und verschließt die Kruke. Danach spannt sie das Gefäß in den Topitec® Touch ein und rührt die Creme zwölf Minuten bei 600 UPM.
Endkontrolle
Nach der Beendigung des Rührprogramms öffnet sie die Kruke und entnimmt mit einem desinfizierten Spatel eine kleine Menge der fertigen Rezeptur. Diese streicht sie auf einer Glasplatte aus und freut sich, dass die Cremeprobe homogen und frei von Klümpchen ist.
Etikettieren
Dabei weist Sarah Siegler alle Inhaltstoffe der verordneten kosmetischen Grundlage auf dem Etikett aus. Zum Schutz überklebt sie dieses noch mit einer durchsichtigen Schutzfolie.
Abgabe
Frau Benz kommt gegen 18.00 Uhr wie vereinbart in die Apotheke. Die PTA übergibt ihr die bestellte Rezeptur und erklärt ihr die Handhabung der Drehdosierkruke. Sie weist die Kundin noch darauf hin, dass sie die Rezeptur im Kühlschrank lagern soll. Außerdem rät sie ihr, nach jeder Anwendung die Hände zu waschen, damit die Creme nicht versehentlich in die Augen gelangt und diese reizt. Zusätzlich empfiehlt sie ihr zur Reinigung ein rückfettendes Duschöl. Frau Benz bedankt sich herzlich und will beim nächsten Besuch berichten, wie die Creme gewirkt hat.
*Name von der Redaktion geändert.Die im Beitrag erwähnten Produkte werden, sofern es Alternativen gibt,beispielhaft genannt.
Dr. Stefan Bär unterstützt die Redaktion bei der Serie fachlich. Die Rezeptur ist sein Spezialgebiet. Er setzt sich dafür unter anderem als Mitglied der Fachgruppe „Magistrale Rezeptur“ der GD Gesellschaft für Dermopharmazie und als Betreuer zweier Rezepturhilfehotlines ein.