Therapie: Vom Delfin geküsst

Eine professionelle Delfintherapie kann sich positiv auf Kommunikation und Motorik körperlich und geistig behinderter Kinder auswirken. Allerdings sollte man bei der Anbieterauswahl sehr genau hinschauen.

von Bettina Hagen
31.05.2017

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Am südlichsten Zipfel der USA liegt das Urlaubsparadies Florida Keys, eine schmale langgezogene Inselkette, die rund 200 Kilometer in die Karibik ragt. Verbunden durch 43 Brücken gilt sie als die schönste Sackgasse der Welt. Das tropisch-heiße Klima mit durchschnittlich 28 Grad Celsius und die Lage zwischen Atlantischem Ozean und Golf von Mexiko macht die Region zum Eldorado für Wassersportler und lockt mit einer spektakulären Pflanzen- und Tierwelt. Seit 1997 befindet sich auf der Insel Key Largo das Therapiezentrum Island Dolphin Care, in dem behinderte und förderbedürftige Kinder und Erwachsene mit Hilfe von Delfinen behandelt werden. Ein Ortsbesuch.

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Delfine können motivieren und Veränderungsprozesse anstoßen.

Von Miami braucht man eine gute Stunde mit dem Auto, um nach Key Largo, der nördlichsten Insel der Florida Keys, zu gelangen. Die Insel ist wegen des einzigen noch lebenden Korallenriffs der USA vor allem bei Tauchern beliebt, doch wir haben einen Termin bei Deena Hoagland und ihrem Mann Peter, die dort vor 20 Jahren ein Zentrum für tiergestützte Therapie mit Delfinen gegründet haben. Was von außen wie ein überdimensioniertes amerikanisches Wohnhaus wirkt, bietet im ersten Stock einen großzügigen Ausstellungsraum mit Aquarien, Informationswänden und Bibliothek, in denen über den Schutz von Delfinen und das komplexe Ökosystem Südfloridas informiert wird. Es lässt sich bei jedem Schritt durch die Anlage spüren, dass den beiden das am Herzen liegt. Doch Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit körperlichen und oder geistigen Handicaps, chronisch und psychisch Kranken. Und das kommt nicht von ungefähr, denn beide sind durch einen Schicksalsschlag zur therapeutischen Arbeit mit Delfinen gekommen.

Motivieren mit Delfinen

Ihr Sohn Joe wurde mit einem schweren Herzfehler geboren. Komplizierte Operationen waren nötig, um das Kind zu retten. Bei einer Operation erlitt er zusätzlich einen Hirnschlag, der zu einer halbseitigen Lähmung führte. Damals war er drei Jahre alt, und nach Ansicht der Ärzte sollte sich der Junge niemals wieder frei bewegen können. Doch damit gab sich die Familie nicht zufrieden, probierte klassische und alternative Therapiemethoden aus und landete, fast zufällig, in einer Einrichtung in Florida, in der man mit einem Delfin schwimmen konnte. „Schon bei der ersten Begegnung mit dem Tier im Wasser reagierte mein Sohn sehr positiv“, erzählt Deena, „beide korrespondierten mitein- ander“. Fortan kamen sie jeden Tag, und die studierte Sonderpädagogin und Psychologin Deena entwickelte ein Trainingsprogramm für ihren Sohn. „Delfine können nicht heilen und auch keine Wunder bewirken“, sagt sie, „aber sie können motivieren und Veränderungsprozesse anstoßen“. Joe lernte, dass er seinen gelähmten linken Arm benutzen muss, um den Delfin zu füttern und nach einiger Zeit funktionierte es. Heute ist er ein erwachsener Mann, hat die Lähmung überwunden und arbeitet im Therapiezentrum der Eltern.

Therapeutische Familienarbeit

Die Therapie im Island Dolphin Care basiert auf zwei Säulen: einer täglichen Schwimmeinheit mit einem Therapeuten und einem Delfin und einer ergänzenden Unterrichtseinheit im Klassenraum. Beides wird individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Im Klassenraum kommen vor allem Elemente aus der Ergo-, Sprach-, Physio-, Musik- und Kunsttherapie zum Einsatz, es wird aber auch mit einem augengesteuerten Computer und Tablets gearbeitet. Entscheidend für den Erfolg der Therapie ist es, Eltern und Geschwister miteinzubeziehen: „Gerade in Familien mit körperlich oder geistig behinderten Kindern stelle ich immer wieder fest, dass untereinander nicht mehr richtig geredet wird und sich vieles ausschließlich um das kranke Kind dreht“, sagt Deena. Deshalb sind sie bei den Therapieeinheiten dabei, stehen am Beckenrand und reichen Spielzeug oder Futter für die Delfine an oder bauen im Klassenraum gemeinsam ein Vogelhaus, das sie mit nach Hause nehmen.

Positive Auswirkungen auf die Familie stellte auch Gretel Vogt fest. Die Mutter einer inzwischen 30-Jährigen, mehrfach schwerbehinderten Tochter war 2006 zum ersten Mal mit ihrer Familie im Island Dolphin Care. „Verblüffend war, dass sich in der Therapie die motorischen Fähigkeiten meiner Tochter Victoria verbesserten und gleichzeitig auch das Verhältnis zu ihrer Schwester inniger und intensiver wurde“. Sie war völlig überrascht, was Victoria plötzlich konnte und welche Fertigkeiten sie entwickelte. Eine Beobachtung, die dem Konzept von Deena Hoaglands entspricht. „In unserer Therapiearbeit konzentrieren wir uns nicht auf die Defizite, die jemand mitbringt, sondern auf das, was er alles kann. Und das ist immer viel mehr, als man denkt“.

In der Kritik

Von verschiedenen Seiten gerät die Delfintherapie immer wieder in die Kritik. Experten streiten sich darüber, ob der enge Kontakt mit Delfinen nachhaltig positive Effekte auf behinderte Kinder haben kann. An der Uni Würzburg haben dazu Wissenschaftler unter Federführung von Erwin Breitenbach über zehn Jahre lang geforscht. In Kooperation mit dem Nürnberger Delfinarium wurde im Praxisteil eine Delfintherapie mit schwerbehinderten Kindern durchgeführt. Teilgenommen haben 118 Familien, von denen ein Kind unter Trisomie 21, Autismus oder einer anderen körperlichen oder geistigen Behinderung litt. Gemessen an der kontroversen Diskussion um die Therapieform ist das Ergebnis überraschend klar ausgefallen. „Bei den Kindern ist eindeutig eine positive Verhaltensänderung nachweisbar“, sagt Breitenbach. Nach nur einer Therapiewoche hätten die Kinder mehr gesprochen, Sprache besser verstanden und seien insgesamt selbstbewusster und aktiver geworden. Verbesserungen, die nach Angaben der Eltern auch ein halbes Jahr nach Therapieende noch stabil waren. Und dennoch sei die Delfintherapie kein Wundermittel, sondern „eine sinnvolle Ergänzung zu langfristig angelegten Maßnahmen wie Krankengymnastik, Logopädie oder Ergotherapie“. Kritik hagelt es auch von Seiten der Tierschützer, die bemängeln, dass die Tiere in Gefangenschaft leben, dressiert, im schlimmsten Fall mit Antibiotika und Tranquilizern vollgepumpt werden.

Auch Deena Hoagland ist diesen Vorwürfen immer wieder ausgesetzt, hatte sogar schon Tierschutz-Demonstrationen vor ihrer Einrichtung. Dann sucht sie das Gespräch und erklärt, dass ihre Becken in einer Lagune liegen und die Delfine in frischem Meerwasser leben. Das sich eine Veterinärmedizinerin täglich um sie kümmert und die Tiere nicht länger als zwei Stunden pro Tag arbeiten. „Täglich sterben 1000 Delfine im Meer und zwar durch Lärm und Verschmutzung“, beklagt Deena, deren acht Delfine längst Teil der Familie sind.

Island Dolphin Care ist eine gemeinnützige Organisation, die sich durch Spenden finanziert. Tatsächlich aber gibt es in der Branche „schwarze Schafe“, bei denen der Profit im Vordergrund steht. Deshalb: Augen auf bei der Wahl des Anbieters.

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