XD, XE, XL: Welche Corona-Varianten auf uns zukommen

(kib) Nach über zwei Jahren Pandemie ist man allenthalben des Coronavirus überdrüssig. Doch welche Varianten von SARS-CoV-2 entstehen gerade, welche werden beobachtet und welche geben Anlass zur Sorge? Ein Überblick.

von Marco Mrusek
26.04.2022

OP-Maske mit Aufdruck Omicron Variant sowie Vial und Spritze wird von zwei blau behandschuhten Händen gehalten
© Foto: golibtolibov / stock.adobe.com
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Seit Pandemiebeginn wurden auch in Deutschland verschiedene Varianten von SARS-CoV-2 beobachtet, darunter auch die Varianten Alpha (B.1.1.7), Beta (B.1.351), Gamma (P.1), Delta (B.1.617.2) und Omikron (B.1.1.529), die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als besorgniserregende Varianten (Variants of Concern [VOC]) eingestuft werden.

Die Einstufung als VOC erfolgt von der WHO, wenn Hinweise auf eine erhöhte Kontagiosität, einen schwereren Krankheitsverlauf und/oder eine immunevasive Wirkung vorliegen. Gibt es lediglich charakteristische Mutationen, die mit einer erhöhten Kontagiosität, Virulenz und/oder veränderter Immunantwort assoziiert sind, stuft die WHO diese Varianten als unter Beobachtung stehende Variante ein (Variant of Interest [VOI]). Aktuell sind die SARS-CoV-2-Varianten Lambda (C.37) und My (B.1.621) als VOI eingestuft.

Sublinien von Omikron (B.1.1.529)

Welche VOC gibt es zur Zeit? Die vorherrschende VOC in Deutschland ist Omikron. Andere Varianten, zum Beispiel die VOC Delta, wurden fast vollständig verdrängt. So machte etwa Omikron nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vor zwei Wochen, in der Kalenderwoche (KW) 14/2022, 99 Prozent aller SARS-CoV-2-positiven Stichproben in Deutschland aus.

Kurz nachdem sich die Omikron-Variante Ende 2021 weltweit aufgrund ihrer höheren Kontagiosität im Vergleich zu Delta durchgesetzt hatte, machte sich im Januar 2022 bereits eine Sublinie der Variante bemerkbar, die aufgrund einer erneut leicht höheren Kontagiosität einen Fitnessvorteil gegenüber der ursprünglichen Variante hatte – die ursprüngliche Omikron-Variante erhielt daraufhin den Namen BA.1, die kontagiösere BA.2. Eine dritte Omikron Sublinie, BA.3, konnte sich praktisch nirgendwo so richtig durchsetzen.

BA.2 verdrängte seit Anfang des Jahres 2022 zunehmend die Sublinie BA.1 – im Februar wies das RKI noch in 82 Prozent der Omikron-positiven Stichproben BA.1 nach, in der KW 14 waren es noch vier Prozent. Zwei vor kurzem neu aufgetretene Sublinien der VOC Omikron, BA.4 und BA.5, besitzen verschiedene Abweichungen in den viralen Aminosäuren innerhalb des Spikeproteins (und anderen viralen Proteinen) und wurden in Südafrika, Botswana, Belgien, Dänemark, im Vereinigten Königreich und auch in Deutschland nachgewiesen.

Aktuell kommen diese beiden neuen Sublinien in Deutschland jedoch fast kaum vor, ihr Anteil lag in der KW 14 bei 0,2 Prozent der Stichproben. Dem Europäischen Zentrum zur Krankheitsprävention und -kontrolle (European Centre for Disease Prevention and Control [ECDC]) zufolge gibt es bei diesen beiden Sublinien bisher keine Anzeichen für eine erhöhte Kontagiosität, eine immunevasive Wirkung oder einen schwereren Verlauf im Vergleich zu den verbreiteten Omikron-Sublinien BA.1 und BA.2.

Rekombinante Varianten von SARS-CoV-2

Im Unterschied zu Sublinien bekannter Varianten von SARS-CoV-2 vereinen rekombinante Varianten genetische Bestandteile verschiedener Viruslinien in sich und entstehen, wenn eine Wirtszelle zur gleichen Zeit von mehreren Varianten eines Virus infiziert ist, die sich genetisch voneinander unterscheiden. Die hierzu erforderliche Koinfektion eines Individuums ist am wahrscheinlichsten, wenn mehrere Viruslinien innerhalb einer Population kozirkulieren und wenn die Virusprävalenz hoch ist.

Im Moment werden deshalb zunehmend rekombinante Varianten entdeckt, weil es gegenwärtig einerseits zur Kozirkulation unterschiedlicher Viruslinien kommt (etwa Delta und Omikron, innerhalb von Omikron darüber hinaus die Sublinien BA.1 und BA.2), es andererseits aufgrund der hohen Kontagiosität von Omikron zu hohen Infektionszahlen kommt und drittens die zirkulierenden Varianten intensiv molekular überwacht werden können.

Für mindestens fünf dabei oft detektierte rekombinante Virusvarianten sind mittlerweile eigene Pangolin-Bezeichnungen etabliert worden: Die Varianten XD (es handelt sich um eine Kreuzung aus den Varianten Delta plus Omikron-BA.1), XE (eine Kreuzung der beiden Omikron-Sublinien BA.1 plus BA.2), XF (ebenfalls Delta plus Omikron-BA.1), XG (ebenfalls eine Kreuzung der beiden Sublinien BA.1 plus BA.2) sowie XM (eine Kreuzung der Omikron-Sublinien BA.2 plus BA.1.1 – eine in China festgestellte Omikron-Sublinie, die aus der in Deutschland bekannten ursprünglichen Omikron-Variante BA.1 hervorgegangen ist).

Bei der Variante XD handelt es sich um eine Rekombinante, die die Spike-Gensequenz aus Omikron mit dem restlichen Genom aus Delta und damit Elemente der beiden Varianten vereint. Bereits vor ihrer Entdeckung im Januar in Frankreich war eine solche Rekombinante befürchtet und entsprechend als „Deltakron“ tituliert worden. Der Befürchtung nach könnte diese Rekombinante die hohe Kontagiosität von Omikron und die Erkrankungsschwere von Delta vereinen – dafür gibt es dem ECDC und RKI zufolge bisher jedoch keine Hinweise. Lediglich für XE wurde eine leicht höhere Kontagiosität im Vergleich mit BA.2, also der gegenwärtig in Deutschland zirkulierenden Omikron-Variante, nachgewiesen.

In Deutschland wurden die neuen rekombinanten Varianten von SARS-CoV-2 bisher äußerst selten identifiziert: Das RKI hat in den SARS-CoV-2-positiven Stichproben bisher nur einmal XD, einmal XE und dreimal XG nachgewiesen. Häufiger (90-mal) wurde bisher die XG-Variante, also die Kreuzung aus BA.2 und BA.1.1, in Deutschland festgestellt. Diese wurde Mitte Februar zum ersten Mal identifiziert und seitdem in verschiedenen europäischen Ländern (Dänemark, Niederlande und im Vereinigten Königreich [UK]) nachgewiesen.

Rekombinanten im Ausland

Und welchen Anteil haben die rekombinanten Varianten von SARS-CoV-2 am Infektionsgeschehen im Ausland? Basierend auf der Erfahrung der letzten zwei Jahre und der geografischen Ausbreitung von neu aufgetretenen Virusvarianten lohnt es sich, die Ausbreitung der neuen Varianten im Ausland im Blick zu behalten. Im UK etwa meldet die UK Health Security Agency (UKHSA) in ihrem jüngsten Bericht für die rekombinante Variante XE 1125 Fälle bisher, was weniger als ein Prozent des SARS-CoV-2-Infektionsgeschehens dort ausmacht. Allerdings breitet sich die Variante dort um 13 bis 21 Prozent schneller aus als die BA.2-Variante von Omikron, heißt es im Bericht.

„Die bisher bestätigten Rekombinanten sind selten und daher zurzeit kein Grund zur Sorge“, sagte Professor Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Neher plädiert dafür, die rekombinanten Varianten wie auch andere Varianten weiter genau zu beobachten, „um eventuell besorgniserregende Varianten so früh wie möglich zu erkennen“.

Ausbreitung nicht zwangsläufig

Und auch, wenn eine Virusvariante gegenüber dem Wildtyp einen Fitnessvorteil durch eine höhere Kontagiosität hat, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie sich unaufhaltsam ausbreiten wird. Wirft man zum  Beispiel einen Blick auf ein anderes Virus, zum Beispiel das HI-Virus, so zeigt sich: Anfang Februar wurde bekannt, dass es offenbar bereits seit den 1990er Jahren in den Niederlanden eine virulentere Variante von HIV, die Variante VB, gibt, die leichter übertragbar ist als der Wildtyp. Die Variante zirkuliert dort seit Jahrzehnten, hat aber offenbar bisher den Wildtyp nicht verdrängt und sich auch nicht stark über die Niederlande hinaus verbreitet.

Quelle: Ärzte Zeitung

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