Serie Heilpflanzen: Geballte Lebenskraft

Vogelmiere ist für viele Menschen ein klassisches Unkraut. Doch in dem unscheinbaren Nelkengewächs steckt mehr Lebensenergie, als sein zarter, zerbrechlich scheinender Wuchs vermuten lässt.

von Petra Schicketanz
30.01.2019

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© Foto: Annett Seidler / stock.adobe.com
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  • Die Vogelmiere bringt über das Jahr mehrere Generationen hervor, ihre Samen sind jahrzehntelang keimfähig.
  • Die Pionierpflanze breitet sich schnell auf Brachflächen aus und schützt diese vor Erosion.
  • Das Wildkraut enthält unter anderem erhebliche Mengen an Vitamin C sowie Vitamine B1 und B2.
  • Volksmedizinisch wird Vogelmiere wegen ihres Saponingehaltes als Tee oder Presssaft bei Bronchialerkrankungen eingesetzt. Die Saponine wirken auch juckreizmildernd.

Sie ist im Frühjahr eine der ersten, die zum Rennen um die sonnenbeschienenen Brachflächen antreten. Gegenüber ihrer krautigen Konkurrenz ist die Vogelmiere (Stellaria media) jedoch klar im Vorteil. Denn obwohl nur einjährig, fängt ihre Wachstumsperiode nicht erst mit dem Wegtauen des Schnees an. Den Nachteil ihrer relativ kurzen Lebensdauer gleicht sie locker aus, indem sie übers Jahr gleich mehrere Generationen an den Start schickt. Jede einzelne Pflanze bringt bis zu 15 000 Samen hervor, die auch nach jahrzehntelanger Wartezeit noch keimfähig sind. Kälteresistent ist sie obendrein und blüht sogar noch unterm Schnee. Mit so viel Vorsprung und Ausbreitungsfreude schafft es der frostfeste Pionier, Freiflächen bereits zu überwuchern, während die Konkurrenz noch verschlafen die ersten Blättchen entrollt. Kombiniert mit einem raschen Wuchs und einer ausgeprägten Anspruchslosigkeit bringt es die Vogelmiere mit diesen Gaben sogar zum Kosmopoliten. Selbst der Polarkreis ist bei ihrer weltweiten Verbreitung kein echtes Hindernis. Immerhin besiedelte sie bereits vor 28 000 Jahren die eiszeitliche Tundra und ernährte Mammuts ebenso wie Bisons.

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Sternenprinzessin

Jede Einzelne Pflanze bringt bis zu 15 000 Samen hervor.

Sternmiere, Hundsdarm und Hühnerdarm sind Synonyme für die Vogelmiere, deren gebräuchlichster Name von ihrer Verwendung als Vogelfutter herrührt. Mancher Städter, der selbst keinen Garten hatte, soll sie sogar im Straßenhandel gekauft haben. Die Blüten des Nelkengewächses erinnern mit ihrem fünfzipfeligen Kelch tatsächlich an einen Stern. Auch die Kronblätter sind fünfzählig. Doch das ist erst beim genaueren Hinsehen zu entdecken, da sie stets bis zur Basis gespalten sind und auf den ersten Blick als doppelte Menge erscheinen.

Die botanische Bezeichnung der auch Sternenprinzessin genannten Pflanze lautet Stellaria media, was auf Deutsch „mittlerer Stern“ bedeutet. Das klingt schon sehr nach einer himmlischen Botschaft. So heißt es in der Pflanzenmythologie, dass Vogelmiere mit ihrem unbeugsamen Lebenswillen Sternenkindern ein neues Zuhause bietet und sie mit den sanften Schlafbewegungen ihrer Laubblätter zärtlich in das Reich der Träume wiegt.

Ökologisch wertvoll

Spätestens vor diesem Hintergrund sollte es einem Gärtner schwer fallen, das vermehrungsfreudige Kraut auszureißen. Vielleicht fällt die Überzeugungsarbeit leichter vor dem Hintergrund, dass Vogelmiere ökologisch wichtige Aufgaben erfüllt. Die Pionierpflanze breitet sich schnell auf Brachflächen aus und schützt diese vor Erosion. Die feine Haarlinie an ihrem Stängel leitet Tautropfen zum Boden und vermindert dadurch Austrocknung. Die nektarreichen Blüten sind eine wichtige Insektennahrung. Und das Kraut selbst ernährt nicht nur Vögel, sondern auch Hasen, Wildschweine und andere größere Tiere. Nicht zuletzt ist das Wildkraut auch für den Menschen eine gesunde Speise.

Wer Vogelmiere dennoch aus dem Garten entfernen möchte, muss sie regelmäßig gründlich ausjäten. Bei der Gelegenheit kann man sie beispielsweise mit dem ähnlich hartnäckigen Giersch zusammen als Spinat kochen.

Lecker und gesund

Schon in der Steinzeitküche wurde der Ausbund an Lebensenergie geschätzt. Immerhin decken bereits 50 Gramm des Wildkrauts den täglichen Vitamin-C-Bedarf eines Erwachsenen, was bereits den Urmenschen vor Skorbut bewahrte. Dieselbe Menge sorgt für eine gesunde Haut, da sie den Tagesbedarf an Vitamin B2 (Riboflavin) bereithält und immerhin die Hälfte der für den Energiestoffwechsel nötigen Vitamin-B1-Menge. Doch wo ist das Problem? Da nimmt man einfach die doppelte Portion des im Überfluss wachsenden Krauts. Immerhin schmeckt es wirklich lecker, selbst für die heutigen verwöhnten Gaumen. Roh im Wildkräutersalat verbreitet es einen milden Geschmack, der an jungen Mais erinnert. Gekocht gleicht es dem Spinat. Und als Suppeneinlage eignet es sich ebenfalls.

50 Gramm

Schon in der Steinzeitküche wurde Vogelmiere geschätzt. Immerhin decken 50 Gramm den täglichen Vitamin-C-Bedarf eines Erwachsenen, was bereits den Urmenschen vor Skorbut bewahrte.

Volksmedizin

Vogelmiere besitzt schleimlösende Saponine, weshalb das Kraut in der Volksmedizin als Tee oder Presssaft bei Bronchialerkrankungen eingesetzt wird. Die Saponine wirken auch juckreizmildernd. Zusammen mit den hautschützenden Effekten und einer entzündungshemmenden Wirkung eignet sich das Vogelmierenkraut, um Hauterkrankungen wie Psoriasis, Ekzeme und Geschwüre zu lindern.

Kneipp-- Der Kräuterpfarrer Sebastian Kneipp empfahl, bei Atemwegsentzündungen Vogelmiere in Fleischbrühe gekocht zu trinken. Als Trinkkur eignet sich diese Zubereitung auch zur Entschlackung bei Rheuma und Verstopfung.

Hildegardmedizin-- Die Heilige Hildegard von Bingen hielt Vogelmiere, die sie selbst als Hundsdarm („honesdarm“) bezeichnete, für ein Unkraut. Immerhin eins, das sie nutzte, um Blutergüsse, Muskelzerrungen und Prellungen zu heilen. Nach ihrer Rezeptur wird Vogelmiere abgekocht und ausgepresst, die warmen Pflanzen werden auf die geschädigte Stelle gelegt und mit einem Tuch umwickelt. Sobald die Auflage trocken oder kalt wird, können dieselben Kräuter nochmals mit der gleichen Prozedur verwendet werden.

Storl-- Der bekannte Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl rät, kleingeschnittene Vogelmiere bei geringer Temperatur in Gänseschmalz zu schmelzen und einen Tag ruhen zu lassen. Dann wird der Ansatz erneut geschmolzen und durch ein Tuch abgeseiht. Die dadurch erhaltene Salbe hilft bei schlecht heilenden Wunden und kleineren Verletzungen.

Serie Heilpflanzen

02/2019 Vogelmiere
03/2019 Echte Schlüsselblume
04/2019 Giersch
05/2019 Kamille
09/2019 Lein
10/2019 Melisse
11/2019 Hafer
12/2019 Klee

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