Migräne: Bewusst leben

Häufige und/oder schwere Kopfschmerzattacken erfordern eine Anfallsprophylaxe. Hierzu gehören eine große Palette nicht medikamentöser und medikamentöser Verfahren sowie digitale Anwendungen.

von Dr. Ute Koch
30.08.2023

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© Foto: Prostock-studio / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)
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  • Das Hauptsymptom der Migräne sind heftige Kopfschmerzattacken.
  • Die Akutmedikation mit Schmerzmitteln und/oder Triptanen muss mit Einsetzen der Kopfschmerzen erfolgen und ausreichend hoch dosiert sein.
  • Ein „Dauerkopfschmerz“ durch Übergebrauch an akut wirksamen Medikamenten entsteht, wenn diese aufgrund vieler Kopfschmerztage zu häufig benötigt werden.
  • Der Verbrauch an Akutmedikation lässt sich durch eine nicht medikamentöse und/oder medikamentöse Anfallsprophylaxe senken, wozu auch eine digitale Anwendung (DiGa) gehört.

Die Migräne äußert sich in wiederkehrenden, heftigen und anfallsartig auftretenden Kopfschmerzen, die in aller Regel mit Begleitsymptomen (z. B. Übelkeit, Erbrechen) einhergehen. Zu einer Aura, erkennbar an neurologischen Ausfallerscheinungen (z. B. Sprach-, Sehstörungen), kommt es vor rund 10 bis 15 Prozent aller Kopfschmerzattacken. Die Therapie besteht aus akut wirksamen Medikamenten (z. B. NSAR, Triptane) sowie – bei schweren und/oder häufigen Migräneattacken – aus einer nicht medikamentösen und/oder medikamentösen Anfallsprophylaxe.

Akutmedikation richtig anwenden

Aus Angst vor einem zu hohen Schmerzmittelverbrauch zögern viele Migränepatienten die Anwendung ihrer Akutmedikation zu lange hinaus und/oder dosieren diese zu niedrig. Diese Vorsicht ist ein Fehler, weil der in seiner Intensität schnell ansteigende Migränekopfschmerz nur dann erfolgreich unterdrückt werden kann, wenn er sofort mit seinem Einsetzen und zudem ausreichend hoch dosiert behandelt wird (max. Einzel- und Tagesdosis beachten). Vorsicht gilt jedoch, wenn aufgrund monatlich sehr häufiger Attacken der Bedarf an Akutmedikation sehr hoch ist.

Längerfristig kann sich dadurch ein „Dauerkopfschmerz“ entwickeln – in der Fachsprache Medication Overuse Headache (MOH) oder Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch genannt. Grund für einen MOH ist keinesfalls Suchtverhalten, sondern mangelndes Wissen darüber, dass dem Verbrauch akut wirksamer Kopfschmerz- und Migränemittel monatliche Grenzen gesetzt sind: Laut Deutscher Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) besteht das Risiko eines MOH, wenn ein einfaches Schmerzmittel (z. B. ASS, Ibuprofen, Paracetamol) an mehr als 15 Tagen oder ein Triptan, Opiat oder Kombinationspräparat (z. B. mit ASS, Paracetamol und Koffein) an mehr als 10 Tagen im Monat eingenommen wird. In einigen Fällen entwickelt sich ein MOH sogar schon unterhalb dieser Grenzen. Patienten, die ein Risiko für einen MOH haben oder bereits darunter leiden, ist der Besuch eines auf Kopfschmerzen spezialisierten Facharztes anzuraten (Adressen s. dmkg.de).

Prophylaxe erfordert Adhärenz

Maßnahmen zur Migräneprophylaxe sind insbesondere für Patienten wichtig, die häufig unter Migräneattacken leiden (Risiko: „Dauerkopfschmerz“) und/oder sehr schwere Attacken erleben. Bewährt haben sich nicht medikamentöse und bei Bedarf zusätzlich medikamentöse Verfahren (z. B. Betablocker, CGRP-Antikörper). Allen ist gemeinsam, dass sie regelmäßig bis hin zu täglich angewendet werden müssen und von den Betroffenen viel Disziplin beziehungsweise Therapietreue erfordern. Zudem kann keine der Prophylaxemaßnahmen das Auftreten von Migräneattacken komplett verhindern, jedoch deren Häufigkeit, Dauer und Schweregrad reduzieren. Bis sich der gewünschte Erfolg einstellt, ist oftmals ein Ausprobieren verschiedener Maßnahmen erforderlich. Hinzu kommt bei der medikamentösen Prophylaxe, dass sie zu Nebenwirkungen führen kann. Daher gilt es, den erprobten nicht medikamentösen Verfahren den Vorrang zu geben, auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa) gehören dazu.

Hohe Blutzuckerspitzen meiden

Der Zusammenhang zwischen Blutzuckerspiegel und Kopfschmerzen ist nicht neu. Entsprechende Publikationen gab es schon in den 1940er- und 1950er-Jahren. Mittlerweile gilt es als gesichert, dass starke Blutzuckerschwankungen – sowohl nach oben als auch nach unten – Migräneattacken triggern können. Auf Basis dieser Erkenntnis hilft die DiGa sinCephalea Migränepatienten dabei, ihr Ernährungsverhalten zu ändern. Dabei geht es nicht um den Verzicht auf Kohlenhydrate oder eine komplette Ernährungsumstellung, sondern um das Vermeiden hoher postprandialer Blutzuckerspitzen (postprandial = nach einer Mahlzeit). Welche Lebensmittel beziehungsweise Mahlzeiten diese auslösen, variiert von Person zu Person.

In einem dreimonatigen Programm erfassen Betroffene in einer App täglich ihre Mahlzeiten, sportlichen Aktivitäten und andere Lebensstilfaktoren, ebenso ihre Migränesymptome und eingesetzten Medikamente. Diese Daten werden in Verbindung mit dem Blutzuckerspiegel, gemessen mittels Sensor, analysiert. Das Ergebnis sind personalisierte Ernährungsempfehlungen, mit denen Patienten ihren Lebensstil eigenständig anpassen und nachweislich ihre monatlichen Migränetage senken können.

Die Kosten für die DiGa, deren Wirksamkeit klinisch belegt und die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen ist, werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen (sincephalea.de). Sie kann als alleinige Migräneprophylaxe oder in Kombination mit anderen nicht medikamentösen und/oder medikamentösen Prophylaxemaßnahmen eingesetzt werden. Für Schwangere, Stillende und Frauen mit Kinderwunsch ist die DiGa eine gute Option.

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Nachweislich günstig auf den Migräneverlauf wirkt sich moderater und regelmäßiger Ausdauersport aus. Empfohlen werden Sportarten wie Gymnastik, Schwimmen, Radfahren, Nordic Walking und Joggen.

Bewusster Lebensstil

Migränepatienten sollten einen möglichst regelmäßigen Tagesablauf verfolgen, nicht nur im Hinblick auf den Blutzuckerspiegel. Dazu gehört auch ein gleichmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus. Dies beinhaltet, möglichst jeden Tag zur gleichen Zeit aufzustehen und schlafen zu gehen, auch an arbeitsfreien Tagen (Verzicht auf Ausschlafen am Wochenende).

Moderater und regelmäßiger Ausdauersport (kein Leistungssport) wirkt sich nachweislich günstig auf den Migräneverlauf aus. Empfehlenswert sind Gymnastik, Schwimmen, Nordic Walking, Rad fahren und Joggen. Entspannungsmethoden helfen, Stress und Anspannung abzubauen. Empfohlen werden von der DMKG autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Meditation und Atemübungen. Wichtig für den Behandlungserfolg ist, dass der Patient die gewählte Anfallsprophylaxe gern und regelmäßig ausübt. Ebenso kann die Biofeedback-Methode genutzt werden, um Stress abzubauen.

Auf Expertenwissen setzen

Unabhängig vom Leidensdruck ist allen ratsuchenden Migränepatienten (und anderen Kopfschmerzpatienten) die Website der DMKG (dmkg.de) ans Herz zu legen. Dort gibt es wissenschaftlich fundierte Informationen zu häufigen Kopfschmerzarten, deren Behandlung, Besonderheiten bei Kindern und vieles mehr, zum Beispiel Namen und Adressen spezialisierter Ärzte und Kliniken (nach Postleitzahlen sortiert), einen Wegweiser zu Selbsthilfegruppen, das DMGK-Kopfschmerztagebuch zum Downloaden und Ausdrucken sowie die DMKG-App.

Letztere ist ein einfach zu handhabender, digitaler Kopfschmerzkalender und erinnert den Nutzer täglich daran, seinen Eintrag vorzunehmen. An Tagen mit Kopfschmerzen werden deren Stärke und Dauer, Begleitsymptome und eingenommene Medikamente in der App notiert. Weitere Angaben sind möglich, etwa zur medikamentösen Migräneprophylaxe und Menstruation, ebenso wie freie Kommentare. Ein Kopfschmerzkalender – egal, ob klassisch oder digital geführt – ist für Ärzte und Patienten eine große Hilfe, beispielsweise bei der Kopfschmerzdiagnose und der Therapiekontrolle beziehungsweise beim Herausfinden persönlicher Migränetrigger (Migräneauslöser).

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